: Wie lebendig ist die Wolgarepublik?
Rußlanddeutsche diskutieren über Emigration/ Verbandskämpfe erschweren die Orientierung ■ Aus Moskau K.-H. Donath
Bekannte Weisen schmetterten dem Besucher des Moskauer „Haus des Kinos“ an diesem Wochenende entgegen. „Wir sind die lustigen Holzhackerbuam...“ Findet hier etwa eine bayrische Woche statt? Aber nein, ... „in Tirol am grünen Inn...“, klärt der dröhnende Lautsprecher sofort auf. Etwa eine Wiedergeburtsveranstaltung des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation? Auch nicht. Dafür wird hier zuviel Russisch gesprochen. Trachtengruppen wirbeln durcheinander. Deutsche Lehrbücher und Lexika verkaufen sich rasant. Denn das ist das einzige, woran es den Teilnehmern des Rußlanddeutschenkongresses „Wiedergeburt“ noch gebricht — an den Sprachkenntnissen.
Ansonsten demonstriert man hier deutlicher als zuvor, welcher Nationalität man angehört. Der Vorsitzende der Gesellschaft „Wiedergeburt“, Hugo Groth, läßt keinen Zweifel daran, in welche Richtung es gehen wird. Da er in Rußland für die Deutschen keine Zukunft mehr sehe, wollen und sollen diese nach Deutschland auswandern.
Diskutiert wird aber auch über die Überraschungsalternative „Argentinien“. Schon unterbreitete Argentiniens Botschafter in Bonn den Rußlanddeutschen ein Angebot einer neuen „Heimstatt“, sein Kollege in Moskau hat es kürzlich wiederholt. Und auch das russische Fernsehen ließ sich diese Nachricht nicht entgehen. Es kolportierte: Rußlanddeutsche wandern nach Argentinien aus. Für den Durchschnittszuschauer ist damit alles gesagt: Wieder einmal sind die Deutschen näher am Beef. Mit Empörung reagierten die Verbandsvertreter auf diese Meldung.
Das einzige Fazit dieses Kongresses lautet „Orientierungslosigkeit“. Sie hängt mit der Spaltung der Rußlanddeutschen in diesem Frühling in den „Bund der Deutschen in der GUS“ und die Gesellschaft „Wiedergeburt“ zusammen. Letztere macht den Verbleib ultimativ an der Wiedererrichtung der 1941 liquidierten Wolgarepublik fest. Der Bund dagegen gebe sich auch schon mit einer kulturellen Autonomie und Vertretung der Deutschen in legislativen Organen zufrieden. Sein Vorsitzender Wormsbächer gibt zu bedenken, daß in der GUS immerhin über 6 Millionen Menschen leben, die sich auf deutsche Abstammung berufen können. Was geschieht mit denen, die nicht auswandern wollen?
Das unterschwellige Motto des Kongresses — „Die Wolgarepublik wird es nie geben“ — ist jedoch nicht neu. Zugleich ist es aber auch schwer auszumachen, warum sie heute in weitere Ferne gerückt sein soll als noch vor einem halben Jahr. Ihr Sprecher Heinrich Arnold beklagt: „Jelzin und Rußlands Regierung tun nichts, weil sie keine Wolgarepublik wollen.“
Die Wiedergeburt kämpfe nicht für die Emigration, nur „wollen wir nicht weiter auf Knien bitten“. Als Indiz für die mangelnde Bereitschaft Jelzins nimmt man einen Ukas, in dem die „territoriale Rehabilitation“ der kleinen Völker auf bis nach 1995 verschoben wurde. „Dies ist ein neues Moratorium“, meint Arnold, der sich von seiten Deutschlands mehr Unterstützung und Druck auf die Verantwortlichen in Moskau wünschte.
Würde Deutschland seine Tore für mehr Aussiedler öffnen, räsoniert er, würde man hier vielleicht aufwachen und „uns die Republik doch geben“.
Bedenken, die innenpolitische Lage Rußlands erlaube zur Zeit kein „territoriales Geschenk“ an die Deutschen, hält er für unsinnig: „Das russische Volk ist nicht gegen die Wiederrichtung unserer Republik, lediglich die Führung.“
Die Spaltung ihrer Organisation hat tragische Folgen für die Bewegung der Rußlanddeutschen. Wem soll man glauben? Viktor Diesendorf aus dem Vorstand der „Wiedergeburt“ kündigte seinen Rücktritt an. Er könne diese radikale Politik nicht mittragen.
Und der Chefredakteur der St. Petersburger Zeitung, Scharf, orakelte unzweideutig: „Wir werden das Gewissen unserer Bewegung verlieren. Nur die Dummen bleiben zurück. Wenn das Gewissen geht, kommen die Diktatoren.“ Das war wohl an die Adresse Heinrich Groths gerichtet. Dieser Kongreß der „Wiedergeburt“, der die Hoffnungen auf eine Wolgarepublik zu Grabe trug, war ihr eigenes Begräbnis.
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