: 'Überschwang' gegen Rechts bestraft
■ Anti-Rep-Demonstrant vor Gericht / Verteidiger lehnt Prozeß „nach Rostock“ ab
Dienstag, 10. September 1991: In der Bremer Stadthalle tagen die Republikaner. Der Bundesvorsitzende Schönhuber wird sprechen. „Ich bin Anhänger und Mitglied der Republikaner“, sagt Zeuge Ernst-Ulrich B. fast ein Jahr später vor dem Bremer Amtsgericht. „Ich wollte den Bundesvorsitzenden hören. Man hat ja selten genug Gelegenheit dazu.“
Vor der Stadthalle versuchen DemonstrantInnen, die Eingänge zu blockieren. Die Polizei jagt sie mit Mannschaftswagen. „Wir waren schockiert von der Gewalt“, berichtet der Student Christian E., der wegen Nötigung auf der Anklagebank sizt. Der Student und seine Freundin wollen zu ihrem Auto. Die Polizei hat Wasserwerfer aufgefahren.
Der Speditionskaufmann Ernst-Ulrich B. ist extra aus Hamburg angereist, um den Bundesvorsitzenden zu hören und sucht seit einer Stunde einen Eingang zur Stadthalle. In dem Freiraum hinter der Polizeikette treffen Christian E. und Ernst-Ulrich B. aufeinander. „Wir standen uns auf einmal gegenüber, keiner ist ausgewichen. Dann gab es ein Gerangel, und wir hielten uns gegenseitig an den Jacken fest“, sagt der Angeklagte.
„Plötzlich stürzten sich drei Leute auf mich und riefen 'Haltet die Fascho-Sau'“, berichtet der Republikaner. Zwei Männer hätten ihn an den Armen festgehalten, während ihn die Freundin des Angeklagten ins Gesicht geschlagen habe. Dabei sei seine Brille kaputt gegangen. „Da geriet ich doch ein bißchen in Rage und versuchte, die Angreifer festzuhalten, bis die Polizei kam.“
Der Angeklagte weiß nichts von einem dritten „Täter“, und auch der herbeigeeilte Polizist, der vom Amtsgericht als Zeuge gehört wird, hat nur zwei Personen gesehen, die auf den „älteren Mann einschlugen“. Eine Verletzung des Geschädigten konnte der Polizeibeamte nicht feststellen.
Antrag der Verteidiung: Das Verfahren soll eingestellt werden. „Gerade heute, nach den Geschichten in Rostock“, nach dem Angriff auf das Flüchtlingswohnheim „durch genau die Rechtsradikalen, die im weiteren Umfeld mit den Reps zusammenhängen“ , fühlt sich Verteidiger Martin Stucke „nicht in der Lage“, über den Fall zu verhandeln. Die Schuld des Täters sei so gering, daß kein öffentliches Interesse an seiner Verfolgung bestehe. „Ich glaube, die Justiz weiß überhaupt nicht, was in diesem Land passiert.“
„Fernsehgucken können wir alle“, entgegnet ihm Staatsanwalt Krüger. Eine Einstellung des Verfahrens hält er für nicht angemessen. „Dann müssen Sie das Mandat eben niederlegen“, rät er dem Verteidiger. Und auch Richter Wulf will zwar nicht, „daß sowas nochmal eintrifft wie vor 50 Jahren“, aber „die Vorfälle gestern und die vor einem Jahr“ möchte er nicht vermengen. Das letzte Wort habe der Angeklagte. Der sagt: „Ich bin enttäuscht, aber ich glaube, da kann man nichts machen“. Nun ist auch der Richter enttäuscht - ob der mangelnden Reue.
Das Urteil: 60 Tagessätze a 15 Mark. Das Gericht hält die „gemeinschaftliche und gefährliche Körperverletzung“ für erwiesen. In seinem „politischen Überschwang“ habe der „fast noch jugendliche Angeklagte übersehen, daß die Unterdrückung von Minderheiten diese immer stärker macht“. Die Verteidigung will Berufung einlegen. dir
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