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Der Mittelstand als Avantgarde

Neue Entwicklungen auf der diesjährigen Popmesse „PopKomm“: Die CD soll teurer werden, die Industrie hofft auf das „kreative Potential“ musikalischer Jungunternehmer  ■ von Thomas Groß

PopKomm ist keine Messe, PopKomm ist eine Message“ — klingt nicht übel, was? Ist aber nur einer von unzähligen Volltöner-Slogans, die Dieter Gorny wie von selbst aus dem Mund fallen, sobald ihm nur irgend jemand ein Mikrophon davor hält. Der Mann hat Übung. Vier Jahre ist es jetzt her, seit die von ihm mitgegründete „PopKomm“ in Düsseldorf zum ersten Mal über die Bühne ging — damals noch als eher gemütlicher Treff für Popmusik-Insider und Interessierte. Zeit genug, um zu begreifen, daß Politik mit Medien immer auch Medienpolitik ist, daß man beizeiten mächtig auf die Pauke hauen muß, um auf Dauer im Gespräch zu bleiben. Think big! Talk loud! Macht nichts, wenn manches sich bei näherem Hinhören als purer Quatsch entpuppt. Die Sprache der Politik ist nun mal mehr Sound als Semantik, das hat sie mit der Popmusik gemeinsam.

Und bislang fluppt ja auch alles bestens. Das alljährlich wachsende Interesse an der seit 1990 in Köln veranstalteten Fachmesse für die Pop- Branche hat dem ehemaligen Rockbeauftragten Gorny nicht nur eine Taumkarriere vom Käseschnittchenschmierer für durchreisende Bands zum hochkarätigen, original dreitagebärtigen „Macher“ beschert, es hat auch ganz allgemein die „Akzeptanz“ des Kulturzweigs Pop gehoben. Veritable Minister wünschen der PopKomm im besonderen und der Branche im allgemeinen mittels Geleitworten ein gutes Florieren, Vertreter der Handelskammern ziehen in Erwägung, in Zusammenarbeit mit der phonographischen Wirtschaft einen Ausbildungszweig „Medienkaufmann“ zu schaffen. Anfang des Jahres wurde beim nordrhein-westfälischen Landesministerium für Wirtschaft, Abteilung Mittelstandsförderung sogar ein „Zentrum für Musik und Kommunikationstechnologie“ gegründet. Das Institut, dem Gorny selber angehört, hat es sich zur Aufgabe gestellt, populäre Musik „ganzheitlich“ zu fördern. Im Klartext heißt das: nicht biedere Einzelleistungen werden belohnt, sondern musikalische Jungunternehmen.

„Kulturpolitik ist immer auch Wirtschaftspolitik“, steht entsprechend offen im Messekatalog, und — um im Jargon zu bleiben — ein Ende des Handlungsbedarfs ist diesbezüglich nicht abzusehen. Als die PopKomm 92 am vergangenen Sonntag zu Ende ging, hatten mehr als 5.000 Messeteilnehmer durch Akkreditierung ihr wie auch immer geartetes Interesse bekundet, rund tausend mehr als im Vorjahr. Fast will man da die Entscheidung der Veranstalter als weise erachten, die aus den Nähten platzende Veranstaltung vom innerstädtischen Narrentempel „Gürzenich“ ins geräumigere, rechtsrheinisch gelegene Kongreßzentrum Ost zu verlegen, zumal die zwischen Tiefgarage und Raumstation angesiedelte Monumentalität letzteren Gebäudes dem Besucher schon rein architektonisch klarmacht, wo das mittelfristige Ziel der PopKomm als Event, Convent und „Leistungsschau“ liegt: beim Andocken auf dem Niveau von Stadion-Rock. Neben dem New Music Seminar in New York und der MIDEM in Cannes will man sich endgültig als ideelles Olympia der Branche etablieren. Von den Berlin Independent Days (BID) ist ohnehin nur noch am Rande die Rede.

Niemand sollte sich also der Illusion hingeben, auf der PopKomm ginge es um eventuell subversive Potentiale der Popmusik, und wer sie dennoch haben sollte, der verliert sie nach einem Tag auf der Piste garantiert. Die Organisationsform als Messe schafft eine Struktur, die wie von Zauberhand immer nur bestimmte Rede- und Handlungsweisen hervorbringt, während die Struktur selbst außer Sichtweise gerät, gleichsam ins Unbewußte absinkt. Keiner lacht mehr, wenn etwa ein Seminar mit dem Titel „Styling — der Weg zum Erfolg“ angeboten wird. Die PopKomm als „Benutzeroberfläche“ (Gorny) sieht nun einmal vor, daß ausschließlich anwenderbezogene Probleme diskutiert werden, und — The times they are a-changing — eines der Hauptprobleme junger Bands ist tatsächlich das richtige Outfit. Auf dem eigentlichen Messe- Parcours wird unterdessen geschäftig mit dem Akkreditierungsausweis gewedelt, in diesem Jahr bevorzugt an einem goldgelben Bändel von MTV um den Hals getragen — eine eher ironische Reminiszenz an Popmusik als Street Culture. Denn im eigentlichen Messegeschehen bestimmen längst die Major Labels das Erscheinungsbild, und auch innerhalb des Patchworks der Minderheiten, das die kleineren Firmen bilden, war das Zauberwort „Independent“ noch nie so wenig mit Inhalt zu füllen wie heute. Nirvana ist in, Lagermentalität out. Auch wenn die Alt-Folkies vom Trikont Verlag das Techno- Gebretter am Stand gegenüber herzlich wenig mögen: im Kongreß-Center zu Köln am Rhein herrscht eine friedvolle, wenngleich ein wenig freudlose Pluralität, in deren sauber abgezirkelten Planquadraten die Majors Sekt ausschenken und die Kleinen sich auf ihre Weise nach der Decke strecken.

Doch auch und gerade von oben wird ein Gemeinschaftsgeist der Branche gerne angemahnt, umso offensiver, je offener von einer bevorstehenden Krise der gesamten Tonträgerwirtschaft gemunkelt wird. Thomas M. Stein, der Vorsitzende des Verbandes der Deutschen Phonographischen Wirtschaft, sprach im Eröffnungsvortrag der PopKomm zum Thema „Die Popmusik orientiert sich neu“. Ausgangslage: Alles wird immer teurer. Erhöhte Anlauf- und Studiokosten machen Produktion und Verkauf von Tonträgern in Steins Augen schon fast zur unrentablen Angelegenheit. Hinzu kommt, daß die Flop-Rate steigt, während die Produktlebenszyklen sich aufgrund des Fehlens eines dauerhaften Trends immer weiter verkürzen. Nimmt man all das zusammen, seien „Anzeichen für eine konjunkturelle Schwäche in den Musikmärkten unverkennbar.“

Daß in Firmen wie Sony, WEA oder der Bertelsmanngruppe demnächst am Hungertuch genagt wird, mag natürlich niemand so recht glauben. Und doch hat der Katzenjammer der Industrie einen tieferen Grund: Die Digitalisierung des Tonträgerwesens macht Umrüstungen der Aufnahmetechnik und des Vertriebs notwendig, die nicht nur teuer sind, sondern auch neue Umgangsformen mit Popmusik wachküssen. Schon heute existiert ein und dasselbe Produkt oft in ganz verschieden Formen und Stadien der Digitalisierung, ist als Vinyl-LP, CD und bald auch in breitem Ausmaß als Digital Compact Cassette (DCC) erhältlich. Zudem bildet es meist ästhetische Ableger, wird als Video, als Buch oder sogar als Computerspiel vermarktet. Je weiter die opto-elektronische Verkabelung des Wohnzimmers um sich greift, desto wahrscheinlicher wird eine Entwicklung, die den Tonträger als materielles Ding gänzlich überflüssig macht. Das Produkt ist dann nur noch Information, „Datensatz“, der sich je nach Ausrüstung von irgendeinem Terminal in den Privatbereich hinein abrufen und dort nach Wunsch speichern läßt. Selbst das Cover läßt sich über Bildschirm erstellen — sogar mit größeren Möglichkeiten, als es das briefmarkengroße CD-Booklet bietet.

Diese Entwicklung birgt natürlich enorme Gewinnmöglichkeiten, insbesondere wenn eine Firma sowohl die Hardware als auch die diversen Formen der Software, sprich Kassetten, CDs oder Videos anbieten kann. Sie ist aber auch extrem risikoreich. Unternehmerische Qualitäten, die sich in den traditionellen Organisationsstrukturen bewährt haben, können — gerade im Hype-Business Pop — von einem Tag auf den anderen veralten. Plötzlich stellt sich heraus, daß man in die falsche Gruppe, den falschen Markt investiert hat. Die Kapitalströme suchen sich neue Wege und bilden dabei Turbulenzen, die kein Managerhirn im voraus exakt berechnen kann — ein Vorgang, den Gilles Deleuze und Felix Guattari als „Deterritorialisierung“ der Produktions- und Verhaltensmuster beschrieben haben: Der Kapitalverwertungsprozeß, der kein kontrollierendes Gesamt-Subjekt mehr kennt, treibt gerade aufgrund seiner Tendenz zur Vervollkommnung, zur Einbeziehung immer weiterer Bereiche in die latente Anarchie.

Interessanterweise knüpfen sich gerade an diese Einsicht Überlegungen, der Subversion im Pop-Bereich doch wieder ein Türchen zu öffnen. Dirk Scheuring, ein Schreiber aus dem Spex-Umfeld, der an der Organisation der PopKomm beteiligt war, macht sich in einem einleitenden Essay zum Messekatalog Gedanken über die Auswirkungen der zunehmenden Verflechtung verschiedener Datenträgertechnologien: „Die Arbeit von Menschen mit so unterschiedlichen beruflichen Aufgabenfeldern wie ,Musiker‘, ,Computerspiel-Programmierer‘ oder auch ,Plattenfirmen-Geschäftsführer‘ wird sich bald gegenseitig in einer Direktheit beeinflussen, die man sich bis vor kurzem noch gar nicht vorstellen konnte“. Scheuring scheint hingerissen, seinem „Szenario“ für die nahe Zukunft ist aber auch die Lust anzumerken, die Sache mal illusionslos anzugehen und, statt über die böse Technik zu jammern, im allgemeinen Chaos der Verflechtungen neue Formen der Kreativität auszuloten. Je intensiver die Bereiche vernetzt sind, desto direkter sind nämlich auch die Zugriffsmöglichkeiten. Schon seit langem beklagen sich die Firmen über fehlenden Urheberschutz. In dem Maße, in dem jeder Informationsteilhaber an den großen Daten-Pool angekoppelt ist, bieten sich auch allerhand Möglichkeiten der Zweckentfremdung — wie die neueren Entwicklungen im Bereich von Dance-Musik und DJ-Wesen zur Genüge bewiesen haben.

Es ist die alte avantgardistische Haltung des Einverständnisses mit der Modernität, die hier im Techno- Outfit Auferstehung feiert: Technologieentwicklung als subversives Spielfeld für die Joystick-Generation. Und es stimmt schon: eine Informationsstruktur, die sich unter der bunten Oberfläche auf die Opposition von 1 und 0 reduziert, ist aufgrund ihrer absoluten Universalität nicht einfach zu kontrollieren. Wahrscheinlicher aber bleibt es, daß die Datenströme auf Dauer doch wieder qua Management und Gesetzgebung reterritorialisiert werden können. Am Ende dieser zweiten Denkmöglichkeit steht gerade nicht das Verschwinden des Tonträgers (und mit ihm der daran gekoppelten Modelle von Autorschaft und Originalität), sondern dessen Reauratisierung. Erstmals wurde auf der diesjährigen PopKomm laut über eine Neudefinition der „Wertigkeit“ des „Kulturguts Popmusik“ nachgedacht. Verbunden mit einer Anhebung des CD-Preises auf bis zu 50 Mark will die phonographische Wirtschaft weg vom Billig-Image der Branche, hin zu einer der Literatur vergleichbaren Funktion und Stellung. Der Konsument soll sich die teuer erworbene CD ins Regal stellen wie einen neuen Roman von Grass.

Entscheidend für die Durchsetzbarkeit dieser Idee wie auch die Entwicklung des gesamten Pop-Marktes ist das Engagement junger Firmen, Initiativen und Musiker/Technologen-Units. Sie sind — als eine neue Form des Mittelstands — auf eine denkbar nüchterne Weise die eigentlich Umworbenen auf einer Messe wie der PopKomm; denn sie sind auch die eigentliche Avantgarde in der Frage, inwieweit die komplexen Prozesse der Digitalisierung auf lange Sicht steuerbar bleiben. „Pioniere“ nennt sie Gorny, und er hat recht: Während die Riesenfirmen mit ihren notgedrungen unflexiblen Strukturen zu schwerfällig sind, auf neue Tendenzen zu reagieren, bewegen sie sich entlang jener Linie, an der Fan-Haltungen und Vorlieben über Mechanismen der Professionalisierung und Unternehmensgründung immer wieder dem großen Ganzen als Innovationspotential zuwachsen.

Man glaubt es dem Vorsitzenden der phonographischen Wirtschaft deshalb unbesehen, wenn er in einem Interview sagt: „Unsere Branche wird die technologischen Perspektiven sehr sorgfältig beobachten. Es ist meiner Ansicht nach eine unserer zentralen Stärken, das kreative Potential unserer Branche für den spielerischen und selbstverständlichen Umgang mit neuen Technologien immer wieder mobilisieren zu können.“ Und, famous last words: „Ich bin deshalb nicht bange, was unsere Fähigkeit zur Aneignung solcher Technologien anbelangt.“

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