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Die Schattenseiten der Fußballgefühle

■ Hamburger Sport Verein: 2:2 gegen den I. FC Köln oder wie Fußball Depressionen auslösen kann / Weichert und Rhode trafen

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Fußball Depressionen auslösen kann / Weichert und Rhode trafen

Fußball ist ein Spiel? Ein Vergnügen gar? Mitnichten. Was sich so harmlos nennt, ist mitunter nur unter Vorsicht zu konsumieren, die Gegenanzeige unbedingt zu beachten: Es handelt sich beim Fußball potentiell um ein Pro-Depressivum. Eines mit entstellenden Nebenwirkungen auf die Mimik und auf die Artikulationsfähigkeit wie zwei seiner Konsumenten vorgestern nachmitag gegen 17.30 Uhr zeigten. Schwer zu sagen, wer schon mehr gezeichnet ist durch tief eingegrabene Mundwinkelfalten und starr aufgerissene Augen: Egon Coordes, Trainer des HSV, oder Jörg Berger, Trainer des 1. FC Köln. Auch was den Sprechdurchfall anbelangt, nehmen sich die beiden wenig. Wo Coordes syntaktischen Sentenzensalat wie: „Das geht mir vollkommen gegen den Keks“ zum besten gab, konterte Berger mit inhaltsschwangerem Blödsinn: „Hier geht's ums Überleben.“ Wo Depressiva wirken, sind derartige Assoziationen wohl zwangsläufig. Schon vor der Begegnung der beiden mit Tradition und Krise gleichermaßen ausgestatteten Bundesligagründungsvereine, hatte Berger düster prophezeit: „Wenn wir gegen Hamburg verlieren, wird die Lage unkontrollierbar.“ Diese martialischen Wahnvorstllungen müssen hier nicht weiter beleuchtet werden, weil der 1. FC Köln gegen den HSV seinen ersten Saisonpunkt erreichte.

Dafür lohnt es sich, über einen Ausspruch seines Kollegen Coordes zu grübeln: „Man darf auch mal patzen, es kommt auf das Wie an ...“ Eben! Auf das Wie kommt es an! - Doch ach: Wie traurig war das anzuschauen, noch trauriger, als später ins Angesicht der Trainer blicken zu müssen! In Nichts standen die Spieler in Köln ihren Übungsleitern nach, was die mitleiderregende Ausstrahlung anbelangte. So ist das: Die ganze Liga hüpft wie unter Speed herum, schwankt zwischen Wut nach derben Schlappen und Euphorie nach großen Siegen - nur die Hamburger und Kölner scheinen ausschließlich in maßvoller Melancholie auf der Schattenseite der Fußballgefühle dümpeln zu wollen. Fußball kann so traurig sein!

Ein Wunder fast, daß im Müngersdorfer Stadion Tore fielen. Eine Gnade, daß jede Mannschaft zwei erzielte und einen Punkt bekam. Symptomatisch für die schwermütige Desorientiertheit des Spiels das erste der vier Tore: Das Zusammenspiel von Frank Ordenewitz' Kopf mit seiner linker Hand beförderte den Ball in der 25. Minute gen Hamburger Tor, wo Harald Spörls rechte Hand erst knapp hinter der Linie den Flug stoppte. Allgemeines Erschrecken - dann jubelten die Kölner fast, aber nur fast befreit, es war ihr erstes Saisontor.

Später befand sich Rico Steinmann - zur Reintegration stehender Star mit Standing-Problemen - mehr oder weniger im Abseits, auf jeden Fall aber ganz allein und so dicht am Tor, daß er den zweiten Kölner Treffer erzielte. Jedem FC- Treffer folgte ein Hamburger, wes-

1halb die Stimmung am Rhein nach wie vor düster ist. Doch wenden wir uns den trauerklößigen Hamburger Einzelschicksalen zu. Ein meist von Lethargieschüben geplagter Yordan Letchkov ließ in raren Augenblicken ahnen, daß Fußball ein Vergnügen technisch brillanter Art sein kann; derweil Thomas von Heesen von gewohnt kurzen Intervallen intelligenter Intuition geplagt war, die er routiniert mit langen Phasen des Stumpfsinns kompensierte. Vielleicht therapiefähig ist Florian Weichert, Ansätze zu Besserungswillen zeigte der 83 Minu-

1ten hilflos Verzweifelte, als er den Ball in Tornähe so eindringlich berührte, daß dieser zum 2:2 ins Netz hüpfte. Und dann war da doch noch ein ganz unprätentiöser Erfolgsmoment mit einem überhaupt nicht verstörten Protagonisten. Frank Rohde, wie immer wacker, köpfte nach einem Eckball ein Tor. Für einigermaßen gesunde Mentalitäten ist Fußball gar keine traurige Last, oder anders gesagt: Wären alle Hamburger wie Rohde, wäre Fußball zwar kein Elexier aber zumindest gesundheitlich unbedenklich. Katrin Weber-Klüver

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