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„Ulla ist gar kein so loser Vogel“

■ Unterhaltsbetrug: 16.000 Mark vom Sozialamt für verschwiegene Vaterschaft

„Also sowas hab ich in meiner ganzen Amtszeit noch nicht erlebt.“ Richter Mertens ist einigermaßen konsterniert. Da sitzt ein Mann auf der Anklagebank, der eine Vaterschaft anerkannt hat, obwohl er sich dieser ganz und gar nicht sicher ist. Und da sitzt eine Frau neben ihm, die über Jahre Unterhaltsgeld für ihre Zwillinge kassiert hat, weil sie sich partout nicht an den Vater erinnern konnte. Und beide geben sich die allergrößte Mühe, den Richter im Nebel stehen zu lassen.

Hans-Jürgen und Ursula W. haben ein bewegtes gemeinsames Leben hinter sich. Nach der Geburt eines gemeinsamen Sohnes haben sie sich getrennt, um den Unterhalt gestritten, besucht, versöhnt und schließlich 1991 auch geheiratet. Und gestern saßen sie beim Amtsgericht wegen gemeinschaftlichen Betruges. Sie hat über vier Jahre insgesamt 16.000 Mark vom Sozialamt kassiert, weil sie seine Vaterschaft verschwiegen hatte. Er hat keinen Unterhalt gezahlt, obwohl ers gekonnt hätte, meint der Staatsanwalt. Aber wußte der Mann überhaupt von seinen Vaterfreuden?

Immer wieder hat Ursula W. dieselbe Version erzählt: Das sei bei einer Kellerparty passiert und der Alkohol habe doch böse Erinnerungslücken gerissen. „Aber sie müssen doch wissen, mit wem sie Verkehr gehabt haben“, fragt der Richter. „Das weiß ich nicht mehr. Aber jeder hat gesagt, die Zwillinge sehen aus wie Hans- Jürgen W..“ Und da hätte sie den W. auch geheiratet.

Der Richter will wissen, warum Hans-Jürgen W. dann die Varerschaft anerkannt hat. Ein hartnäckiger Sachbearbeiter aus dem Jugendamt hatte sich in den Fall verbissen und immer wieder nachgefragt. Dann hatte Hans- Jürgen W. doch noch unterschrieben. Aber warum? Nochmal von vorne: „Wann ist Ihnen denn klar geworden, daß Sie der Vater sind“, fragt der Richter. „Nachdem ich gemerkt habe, daß die Ulla doch nicht son loser Vogel ist.“ Aber sicher sei er nicht.

„Da werden wir möglicherweise einen Bluttest machen lassen“, droht der Richter. Ursula W. wird unruhig, will aber immer noch nicht so recht mit der ganzen Geschichte rausrücken. „Alles sitzt da und guckt einen dusselig an“, beschwert sie sich. „Hinterher wird alles rumgetratscht“, bis der Richter ein Einsehen hat und die Öffentlichkeit höflich bittet, freiwillig rauszugehen, bis auf die Vertreter von der Presse, „die kann ich Ihnen nicht ersparen.“ „Soll das auch noch in die Zeitung? Auch das noch.“ Aber dann kommt doch noch die ultimative Partygeschichte: „Ich bin morgens neben ihm aufgewacht“, genauere Erinnerungen bleiben aber Fehlanzeige. Da ist die Wut vor: „Irgendeiner hat uns angeschissen.“

Aber nach allem hin und her und der wievielten Variation über die Frage, wann wer eine Ahnung von der wahren Empfängnis gehabt hat, besinnt sich Ursula W. auf „Wir geben ja unsere Schuld zu.“ Und sie erzählt, daß sie sich schon nach der Geburt des ersten Kindes mit ihrem späteren Mann um den Unterhalt gestritten habe. „Da hatte ich die Schnauze voll und bin lieber zum Sozialamt gegangen.“ Aber ihr Mann habe tatsächlich von alldem nichts gewußt, bis die Ähnlichkeit mit den Zwillingen nicht mehr zu übersehen gewesen sei. Damit wäre Hans-Jürgen W. aus dem Schneider, aber so schnell gibt der Richter nicht auf. Der hartnäckige Sachbearbeiter arbeitet zwar jetzt in Halle, trotzdem soll er geholt werden, um die Frage zu klären, ob der Mann mehr gewußt haben konnte. Wem das noch nützen soll, wird wohl das Geheimnis des Amtsgerichts bleiben. Herr W. verdient so wenig, daß die Familie sowieso vom Sozialamt unterstützt wird, und da ist es wohl egal ob Frau W. alleine oder gemeinschaftlich mit ihrem Mann die 16.000 Mark nicht zurückzahlen kann. Der Prozeß wird in der kommenden Woche fortgesetzt. J.G.

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