: Pazifismus wird wieder Schimpfwort
■ betr.: "Die Lieben und die Bösen" von Lothar Beier, taz vom 22.8.92
betr.: „Die Lieben und die Bösen“ von Lothar Baier, taz vom 22.8.92
[..] Angesichts der in der Linken zur Zeit geführten Diskussion (unsäglich die Grünen in neuester Zeit) über Für und Wider des Einsatzes von UN-Truppen in Jugoslawien waren das wohltuend bedächtige und überlegte Worte. Es ist so, als hätten alle auf einmal ihre theoretische Kinderstube vergessen, der Kapitalismus strahlt in neuem Glanz, ökologischer Umbau statt Umsturz, gerechter Krieg gegen böse Aggressoren... und bald sind wahrscheinlich auch unsere Jungs bei der gerechten Sache mit von der Partie.
[...] Jahrzehnte politischer und theoretischer Diskussionen werden schlichtweg platt ausgelöscht. Nation ist wieder Thema, das allerdings können die Rechten besser besetzen. Pazifismus wird wieder Schimpfwort, Kommunismus ist es schon.
Die Aufgabe diesem Elend Einhalt zu gebieten, ist doch drängender als je. Das Rüstzeug zur Veränderung der Verhältnisse liegt schon lange herum. Statt dessen aber lassen sich alle von Sachzwängen treiben, deren wahre Beweger sich alles andere als friedliebendes Leben zum Ziel gesetzt haben. Statt Einsatz der Bundeswehr „out of area“ (Klartext im Krieg gegen...) müßte die Friedensbewegung die totale Entwaffnung und Abrüstung derselben fordern. Dazu totaler Stopp der Rüstungsproduktion. Ohne Waffen geht das Kriegmachen anders, nämlich gar nicht. Wer liefert denn denen die Waffen, mit denen sie sich meucheln? Die Zusammenhänge sind doch wohl nicht so schwer zu verstehen. Ohne Sprit fährt kein Panzer, und ohne Munition schießt auch kein Gewehr, selbst wenn es schon vorhanden ist...
Die Darstellung Baiers ist hinterlegt mit bedenkenswertem Material. Wenn so argumentiert wird, kommt vielleicht auch etwas Positives dabei heraus. Über den Krieg hinausgedacht wäre noch besser. Es kommt ja bekanntlich immer noch darauf an, die Welt nicht verschieden zu interpretieren, sondern sie zu verändern. Denn gut ist sie so nicht. Volker Schneider, Bochum
Die individuellen massenhaften Äußerungen der Autoren über den Jugoslawien-Krieg zeigen immer nur die Plattform der persönlichen Bewußtseinslage — wie L. Baier das über die französischen Publizisten beschreibt. Ein jegliches Parteiergreifen in diesem Krieg birgt in sich eine Ungerechtigkeit, im Gegensatz zum Vietnam- und Golfkrieg, wo eine Macht durch Imponiergehabe sinnlos, kriegstreibend sich gebahr.
Im Jugoslawienkrieg (und in den gegenwärtigen Kriegen in Afrika), haben archaische Kräfte in ihrem gesetzlosen destruktiven Ausleben mehr oder weniger sämtliche Parteien übertreffend, die Überhand gewonnen. Die Gründe, wer hat angefangen oder wer ist schlimmer, die religions-, ethnischen und andere Gründe, halten nur als Entschuldigung her und wirken eher als weiteres Futter für die zerstörerischen Kräfte. Selbst das Mitleid führt zur gegenwärtigen und zukünftigen Destruktivität.
Paul Parin deutet bei einem gewaltsamen Ende die Unsicherheit der zukünftigen Situation an. Er, als Psychoanalytiker, mit seiner immensen Erfahrung, sollte auch das Nekrophile des Menschen als tatsächliche Ursache erkennen. Eine sinnvolle Lösung dieses Krieges zu erlangen, hieße das Nekrophile auszulöschen, nur — in der drängenden Zeit eine Utopie! Würden die Intellektuellen diese Wurzeln im Menschen nicht nur als Wissen, sondern als Prämisse, als Vorsatz einer Erkenntnis in ihrem weiteren Handeln einbeziehen, und sich nicht von den oben genannten Entschuldigungen ablenken lassen, wäre das ein Erfolg.
Die wesentliche Tätigkeit der Intellektuellen sollte das Aufdecken der destruktiven Züge sein, egal unter welchem Deckmantel einer Ideologie, Ethnik, Religion, Institution und so weiter. Wie in diesem Kriege kann es aus Zeitmangel dazu führen, daß man hilflos mit einem Eimer Wasser ein Miethaus löschen will. Es gibt zu wenige Vaclav Havel. Ich bin auch nur ein Lothar Baier! E.-Christian Ahrens, Brühl
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen