: Athen: „Religiöse Andacht“ für das Embargo
Die griechische Regierung untersagte nach langem Zögern den Export von Ölprodukten nach Serbien/ Bestimmungen unterlaufen/ Oppositionelle Sozialisten gegen Embargo/ Angst vor moslemischer Umzingelung unter türkischen Vorzeichen ■ Aus Athen Takis Gallis
Die Entscheidung fiel ihm nicht leicht. Als der griechische Ministerpräsident Konstantinos Mitsotakis Anfang voriger Woche in Athen die Ausfuhr von Ölprodukten in die nördlichen Balkanländer verbot, wußte er, daß der Hauptbetroffene sein bester Freund ist. Jorgos Mamidakis, Besitzer der Firma „M“, die eine führende Position auf den Ölmärkten des Balkans hat, mußte dadurch Verluste einstecken, die ihn an den Rand des Ruins brachten.
Wenige Tage später saßen sich die zwei Männer auf dem Deck einer Luxusyacht gegenüber. Das Schwierigste war bereits überstanden, die Banken hatten noch rechtzeitig unter die Arme gegriffen. Mamidakis zog nüchterne Bilanz: Als Geschäftsmann sehe er das anders, als Regierungschef aber hätte er genauso gehandelt. Mitsotakis konnte aufatmen, die Männerfreundschaft war gerettet. Noch nüchterner waren die Reaktionen aus dem Ausland. „Ein durchsichtiges Manöver“, kommentierte der italienische TV-Sender RAI-Due. Und viele westeuropäische Zeitungen, gewitzt durch ähnliche Ankündigungen älteren Datums, machten sich lustig über die Wirksamkeit der Maßnahmen.
Immerhin konnten die Stimmen, welche die Kontrolle des Embargos an der Grenze Griechenlands an internationale Beamte übertragen wollten, zum Verstummen gebracht werden. Für die liberale Zeitung Ta Nea käme eine solche Maßnahme der Aufhebung der griechischen Souveränität gleich, die linksliberale Elefterothypia meinte sogar, dies wäre die gröbste Beleidigung, die das Land seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs erfahren hat. Die Befürworter der Maßnahmen, darunter Bundesaußenminister Klaus Kinkel, waren von einem ARD-Bericht alarmiert worden, der handfeste Beweise von der Durchlöcherung des Embargos gebracht hatte.
Solche Berichte sind nun seit zwei Wochen nicht mehr erschienen. Für Mitsotakis ein guter Anlaß, den Spieß umzudrehen. „Die Meldungen, wir sind Helfershelfer von Milosevic, haben sich durch unser Ausfuhrverbot als grotesk erwiesen“, konnte er selbstgerecht erklären. Athen beweise damit, daß es sich mit „religiöser Andacht“ an die UN-Beschlüsse halte.
Das heißt freilich nicht, daß die griechische Regierung aufgehört hat, Milosevic politische Unterstützung zu gewähren. Nicht aus besonderer Liebe zu ihm, sondern weil man das griechisch-orthodoxe Serbien als das stärkste Bollwerk gegen die „moslemische Expansion“ hält. Jüngstes Beispiel die Jugoslawien- Konferenz in London. In seinem Brief an den britischen Premier John Major am Vortag der Konferenz erklärte Mitsotakis, Griechenland werde auf keinen Fall an einer Militärexpedition gegen die Serben teilnehmen. Ähnliche Abstinenz empfahl er auch den anderen Nachbarstaaten von Ex-Jugoslawien. Ihre direkte Verwicklung in Kampfhandlungen, betonte er, könnte den ganzen Balkan mit bosnischen Zuständen infizieren. Eine nicht ganz ungehörte Position: Kurz nach Beendigung der Verhandlungen, die wenig Handfestes erbrachten, konnte der neue griechische Außenminister Michalis Papakonstantinou frohlockend mitteilen, die Konferenz habe „die griechische Position der Nicht- Intervention“ völlig übernommen.
Das Sieger-Gehabe wird allerdings auch im Inland belächelt. „Wir tun so, als ob wir die Lehrmeister Europas wären, tatsächlich sind wir aber nur ihre Kasperl“, kritisierte der Athener Radiosender Sky. „International werden die griechischen Positionen höchstens als Fußnoten vermerkt.“
„Ob Fußnoten oder nicht, gefährlich sind sie allemal“, urteilt Andreas Papandreou, Ex-Premierminister und Chef der großen sozialistischen Oppositionspartei Pasok. „Die Regierungspolitik ist weder Fisch noch Fleisch. Sie spricht sich gegen die endgültige Zerstückelung Jugoslawiens aus, unternimmt aber praktisch sehr wenig dagegen. Dadurch wird aber auch die Position Griechenlands geschwächt.“
Papandreou verweist darauf, daß eine Niederlage Serbiens im innerjugoslawischen Konflikt eine Umwälzung der Machtverhältnisse auch außerhalb Jugoslawiens provozieren würde. Hauptgewinner wäre dabei die Türkei, die sich dann in den „moslemischen Ring“ entlang der griechischen Grenze zu Albanien, Mazedonien und Bulgarien festsetzen würde. Die „türkischen Expansionsgelüste“, so der Sozialistenchef, würden nicht vor griechischen Territorien halt machen. Eine indirekte Warnung seien die im Sommer stattgefundenen Zypernverhandlungen in New York, die aufgrund der „türkischen Unnachgiebigkeit“ gescheitert sind.
Solche Befürchtungen gehen überall um. Bei einer Diskussionsveranstaltung vorige Woche in der nordgriechischen Stadt Florina hat Ex-Außenminister Antonis Samaras, laut Umfragen der populärste Politiker der regierenden konservativen Nea Demokratia, besonders eindringlich auf die Aktualität der „türkischen Gefahr“ hingewiesen. Dies hat den Beifall der gesamten Opposition gefunden. Und selbst Verteidigungsminister Jannis Warwitsiotis will nicht von solchen Schreckgespenstern ablassen — zum Leidwesen seines Regierungschefs, der seit Monaten die Bedeutung der „Gefahr aus dem Osten“ herunterzuspielen versucht.
Es ist sicher kein Glück für Mitsotakis, daß die Beziehungen zu Belgrad und Ankara zu einem fast unentwirrbaren Knäuel zusammengewachsen sind. Der Spielraum ist, mit Rücksicht auf die vermeintlich protürkische und antiserbische Politik der EG-Partner, denkbar eng. „Die Folge ist eine Politik der ewigen Halbheiten“, bemerkt die rechtsliberale Zeitschrift Politika Themata. „Athens Kurs muß dabei den Anschein erwecken, weniger antitürkisch und mehr antiserbisch zu sein, als er in Wirklichkeit ist. Dies ist aber nicht nur unglaubwürdig, sondern auch unpopulär.“ Das Ergebnis: Nur ein Drittel der Griechen schenkten diesen Sommer, laut Umfragen, Vertrauen in die diplomatischen Kunststückchen des Regierungschefs.
Unglückliche Hand beweist der griechische Premier auch bei Fragen, die er erwiesenermaßen konsequent anpacken will, wie beispielsweise das Embargo. Schuld daran sind nur zum Teil die Täuschmanöver der Lastwagenfahrer, die versuchen, die Blockade durch Angabe von falschen Bestimmungsorten zu umgehen. Eine wichtige Rolle, so wittern Athener Zeitungen, dürfte auch die Bestechung von Zollbeamten spielen — ein Phänomen, das es zwar immer schon gegeben hat, heute aber aufgrund von extrem verlockenden Angeboten drastisch zugenommen hat. Auf jeden Fall, so die letzte inoffizielle Hochrechnung, schlüpfen mindestens zehn bis 20 Prozent der Lastwagen mit falsch deklarierter Ware durch die Kontrollmaschen hindurch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen