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„Leute reagieren sehr gereizt auf alles“

■ Rostocker Oberbürgermeister: Erst weniger Arbeitslosigkeit, dann weniger Gewalt

„Rostock zu Besuch in Bremen“ ist das Motto des Programms „Rostocker Marktplatz“, in dessen Rahmen gestern auf dem Hanseatenhof Würstchen, Honig und Fisch verkauft wurden. Vom 9.-19. September soll der Markt im Roland-Center aufgebaut werden. „Rostock“, das klingt in diesen Tagen aber nach ausländerfeindlichen Krawallen. Japanische Investoren hätten Termine abgesagt, räumte der Rostocker Oberbürgermeister Dr. M. Klaus Kilimann gestern im Bremer Ratshaus ein. Aber: 5-8000 Rostocker Bürger hätten unter der Parole „Zündet Kerzen an“ gegen die Gewalt demonstriert, berichtete er stolz.

„Die Kommunen sind überfordert“, räumte der OB von Bremens Partnerstadt ein. Man könne „nicht so schnell eine Bewußtseinsänderung herbeiführen wie die Asylantenzahl steigt“. Der Fremdenhaß, so Kilimann, sei „ein Ventil unter anderen“. Die Gewaltbereitschaft habe soziale Ursachen, die Leute litten unter dem „Verlust an Alltagskompetenz“ und würden „sehr gereizt auf alles reagieren“.

Als besonderes Beispiel für die Probleme der Anwohner mit der Zentralen Mecklenburgisch- Vorpommerschen Anlaufstelle für Asylbewerber (ZAST) in Rostock-Lichtenberg benannte Kilimann die Tatsache, daß die ZAST abends ihre Pforte schließe — Asylbewerber, die zu spät eintreffen, müssen im Freien auf den Morgen warten. Erst dann könnte die Aufnahmeprozedur vorgenommen werden, erkennungsdienstliche Behandlung inclusive. Also entwickelt sich manchmal das nächtliche Leben zwischen den Wohnblocks, die ankommenden Asylbewerber machten Feuer, tanzen, singen. Die Stadt habe auf das Problem hingewiesen. „Die wollten sogar über Ostern ganz schließen“, empört sich Kilimann. Die Stadt konnte die Landesbehörde von diesem Plan abbringen.

Von der Politik provoziert könne man die ausländerfeindliche Ablehnung dennoch nicht nennen, versicherte Kilimann. Der inzwischen gefeuerte Schweriner Pressesprecher der SPD- Landtagsfraktion hatte behauptet, der Rostocker Innensenator Magdanz habe ihm gegenüber erklärt, wenn mehr Unterkünfte bereitgestellt würden, kämen nur mehr Asylbewerber. Eine „perfide Behauptung“, erklärte Kilimann.

Die ZAST hat ihr neues Quartier nun in einem ehemaligen Militärgelände nahe Rostock bezogen. Nur die Siedlung Hinrichshagen befindet sich dort. Deren Bewohner seien in das „taktische Polizeikonzept“ einbezogen, berichtete Kilimann. Die von der Telecom noch nicht Versorgten hätten inzwischen Funktelefone bekommen - für den Notfall. 12 Familien von 36 wollten dennoch wegziehen. Der Rostocker OB versichterte, daß die Stadt ihnen helfen wolle, Ersatzwohnraum zu finden. K.W.

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