: MAINZER WEINMESSE MIT 616 ERZEUGERN GING GESTERN ZU ENDE
Die „Chardonnitis“ grassiert
Mainz (taz) — Die deutschen Winzer gehen schwierigen Zeiten entgegen. Der internationale Wettbewerb dürfte sich mit dem EG-Binnenmarkt im nächsten Jahr deutlich verschärfen. Um sich zu behaupten, sollen die Erzeuger drei Dinge tun und eines lassen: sie sollen die Erträge begrenzen, die Zahl der Rebsorten reduzieren, Licht in das Dunkel der Lagenbezeichnungen bringen und die Finger vom Modetrend der „Chardonnitis“ lassen, dem Anbau der französischen Chardonnay-Rebe.
Dieses Fazit kann man aus den Diskussionen und Veranstaltungen auf dem Internationalen Wein-Festival von Mainz ziehen, das gestern zu Ende ging. Mit 616 Erzeugern aus 22 Ländern, die etwa 7.000 verschiedene Weine und Sekte anboten, war das Wein-Festival die wichtigste Weinpräsentation in Deutschland und eine der bedeutendsten Weinmessen in Europa.
Heftige Diskussionen unter Winzern und Fachleuten provozierte die Einführung der französischen Chardonnay-Rebe in deutschen Weinbergen. Sie hat inzwischen die Zulassung erhalten, und zunehmend mehr Winzer planen ihren Anbau. Der angesehene britische Weinexperte Michael Broadbent warnte die deutschen Erzeuger, sich einer Konkurrenz auszusetzen, der sie nicht gewachsen seien. Chardonnay, so Broadbent, werde in vielen, inzwischen in viel zu vielen Ländern angebaut. In einem nördlichen Weinbauland wie Deutschland sei diese Rebsorte aber fehl am Platze.
Weinhändler K. Schrauth vom Weinhaus Schlumberger sprach sogar von einer „Pest“ der Chardonnay-Rebe. Man müsse sich sehr genau überlegen, wo sie hingehöre und wo nicht. In Deutschland, so die Einschätzung von Schrauth und vieler anderer Experten auf einem Forum über die Marktchancen des deutschen Weines, sei allenfalls Baden als südlichstes Weingebiet für den Anbau dieser Sorte geeignet.
Die meisten Neuzüchtungen, die in den letzten 20 Jahren hierzulande durch immer neue Kreuzungen entstanden, „waren doch ein Flop“, sagte Stephan Graf Neipperg, der in St. Emilion ein Weingut führt, während sein Bruder in Württemberg Wein erzeugt. Die Scheurebe und der Dornfelder wurden als einzige der vielen neugezüchteten Rebsorten anerkannt. Übereinstimmendes Urteil: es gebe genug klassische Rebsorten wie etwa Riesling, Sylvaner und die Burgundersorten, die eine hohe Qualität garantierten. Den Rest, so Michael Broadbent, sollte man ganz einfach „vergessen“.
Graf Neipperg hielt den deutschen Winzern zudem vor, daß sie in ihren Weinbergen kaum alte Rebstöcke hätten, die eine bessere Wein-Qualität bringen. Zu hohe Erträge und zu starkwüchsige Unterlagen — die Edelreben werden auf sogenannte Unterlagsreben aufgepfropft — wurden als Ursache für den frühzeitigen Verschleiß der Rebstöcke genannt.
Statt der fragwürdigen Modetrends wurde den deutschen Winzern die Rückkehr zu ihren Tugenden verordnet. Der deutsche Wein, vor allem der Weißwein, habe in den vergangenen Jahren seine Qualität deutlich steigern können. Fruchtige, aromatische Weine, hier liege die Stärke der deutschen Winzer, und darauf sollten sie sich auch konzentrieren. Weitere Qualitätssteigerungen sind vor allem über Ertragsbeschränkungen zu erreichen. Beim Ertrag werde in Deutschland oft gesündigt, zu große Mengen sorgten für dünne Massenweine, die den Markt überschwemmten und dem Image des deutschen Weins schadeten. Einige Winzer und Genossenschaften hätten aber inzwischen die Zeichen der Zeit erkannt: sie produzieren ertragsbeschränkte, konzentrierte Tropfen. Als gelungenes Beispiel dafür wurde die in Baden kreierte Nobel-Linie „Baden-Selection“ herausgestellt, die dem Verbraucher eine höhere Qualität durch Ertragsbeschränkung aus ausgesuchten Lagen garantiert und dafür etwas teurer angeboten wird.
Sollen auch in Deutschland die besten Weinberge, analog zu den französischen Grand Crus, als Spitzenlagen klassifiziert werden? Mit der jetzigen Lagenbezeichnung sind viele Winzer und Verbraucher unzufrieden. Spitzenprodukte seien kaum erkennbar, die auf dem Etikett angegebene Großlage sage nichts aus und vereinige große Weine und mickrigste Gewächse unter ein und demselben Namen. Die Weinkapazität Joel Payne, als Fachmann weltweit anerkannt, sprach angesichts der verwirrenden Großlagenbezeichnungen wortgewaltig von einem „organisierten Verbrechen“. Um den deutschen Wein zu retten, müsse hier ganz schnell etwas geschehen.
Blieb noch die Frage, ob beim deutschen Wein das Marketing stimmt. Während die Weinwerbung auf Verbandsebene eher kritisch eingeschätzt wurde, konnte sich der Besucher auf der Weinmesse ein eigenes Bild machen. Die Flut von Nobel-Flaschen und Designeretiketts mit kunstvollen Aquarellen war bei den Erzeugnissen unübersehbar. Vorsicht ist angebracht. Nicht überall, wo in güldenen Lettern Qualität draufsteht, ist auch welche drin. Manfred Kriener
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