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Massage am Stein

■ Der ecuatorianische Künstler Luis Guerrero arbeitet im Freiluftatelier Am Wall

Bildhauer

am Stein

Er redet mit dem Stein und den Menschen: Luis Guerrero F.: J.O.

Wer sich den Wallanlagen am Ostertor nähert, hört schon von weitem das Klopfen und Hämmern. Das Geräusch hallt von den Häuserwänden wider: Unter einem Baum, gegenüber der Kunsthalle, steht der ecuatorianische Bildhauer Luis Guerrero und behaut mit Hammer und Meißel einen großen Sandstein. „Heute morgen hat mein Stein ein bißchen gelitten“, erzählt er. „Da ist ein Riß, da mußte ich ein großes Stück raushauen.“ Der Bildhauer arbeitet nur mit Handwerkzeugen, nie mit Maschinen. „Ich zwinge dem Stein meinen Willen nicht auf, er sagt mir, wo ich arbeiten darf. Ich achte auf den Klang. Ich versuche, für jeden Stein und für jedes Kunstwerk die richtige Technik zu finden.“ Und manchmal ist das richtige Werkzeug eben die Axt, findet der Künstler und nimmt sie in beide Hände. Dem Stein geht es dennoch „sehr gut“, versichert Guerrero, „er freut sich, wenn ich

komme. Jeden Morgen strahlt er mich an.“

Der ecuatorianische Künstler kommuniziert nicht nur mit der steinernen Materie, er redet auch mit den Menschen, die an den Wallanlagen vorbeispazieren. „Jeden Morgen kommt ein Polizeiinspektor und erzählt mir, welche Verbrechen er heute aufklären muß.“ Und vor den Schulklassen, die vorbeikommen, um dem Künstler bei der Arbeit zuzuschauen, singt er das Lob der Faulheit. „Das hören die Lehrer natürlich nicht so gern, dann schieben sie ihre Schüler schnell weiter in die Kunsthalle.“ Auch eine Massageklasse kam und stellte Ähnlichkeiten zwischen Guerreros Arbeit am Stein und der eigenen Arbeit am menschlichen Körper fest.

Wer täglich an den Wallanlagen vorbeigelaufen ist, konnte beobachten, wie das Kunstwerk Tag für Tag Gestalt annahm. War es am Anfang rohes, unbehauenes Gestein, so hat der Künstler jetzt Rillen und Linien hinterlassen. Vorsprünge und Löcher bilden eine Struktur. „Viele wollen unbedingt einen Elefanten darin sehen“, erzählt er. Ein bißchen tierisch wirkt er schon, der Stein, doch übersät mit archaischen Symbolen. Der Künstler deutet auf das Sonnwend-Zeichen. In der Skulptur will Luis Guerrero Lateinamerika darstellen, „das nicht nur Latein ist, sondern auch Afro- und Indioamerika.“

Den Bremer „Dialog mit Lateinamerika“, für den er engagiert worden ist, nimmt der gesprächige Beuys-Meisterschüler, mit Quito und Düsseldorf als Wohnsitz, sehr ernst. „Ich lebe mit einem Fuß in der ersten Welt und mit dem anderen in der dritten Welt. Diese Polarität finde ich sehr reizvoll. Die Europäer machen die Welt kaputt, indem sie ihr ihren Willen aufzwingen. Wir Dritte-Welt-Menschen haben das Ozonloch nicht mitverursacht. Ich verlange Schadensersatz!“

Kunst ist für Luis Guerrero eine Form, sich mitzuteilen. „Dieser Stein ist ein Medium. Der Künstler codiert seine Philosophie, und der Betrachter decodiert sie. Kunst ist etwas spezifisch Menschliches. Tiere können keine Kunst machen. Alles, was in den Köpfen von Menschen entsteht, hat mit Kunst zu tun. Wenn ein Mensch sagt, er macht keine Kunst, verleugnet er sein Dasein.“

Doch bald muß Luis Guerrero seinen Stein verlassen. „Das ist nicht so schön. Aber ich trage ihn in meinem Herzen und ich werde ihn besuchen, wenn ich nach Bremen komme.“ Diemut Roether

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