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Oh Theater, oh Schutz vor ihm

Zwei Uraufführungen in Wien: Elfriede Jelineks Stück „Totenauberg“ im Akademietheater und das Musical „Elisabeth“ im Theater an der Wien  ■ Von Dieter Bandnauer

In der vergangenen Saison spielte das Volkstheater Jelineks frühes Stück „Was geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte“. Die Direktorin Emmy Werner inszenierte die radikale Fortschreibung von Ibsens „Puppenheim“ selbst — mit dem ehrgeizigen Anspruch, ihren Abonnenten einmal ein modernes Drama zu bieten, ohne sie vor den Kopf zu stoßen. Das Unterfangen unter dem Motto — was geschah, nachdem Elfriede Jelinek ihr Stück verlassen hatte — war so unverschämt, daß es bereits wieder als innovativ gelten konnte.

Richtete sich Emmy Werners Mißtrauen nicht gegen das Stück, sondern lediglich gegen ihr Publikum, demonstriert Manfred Karges Uraufführung — die noch nachzuholen sein wird — nicht einmal irgendein Mißtrauen, sondern eine totale Ratlosigkeit vor einem monologische Felswände errichtenden Theatertext. Diese Ratlosigkeit nun diskreditiert Karge aber noch keineswegs — obsolet wird seine Totenauberg-Inszenierung erst durch den Versuch, die Ratlosigkeit mit allen theatralischen Mitteln vergessen zu machen. Aber wir wissen: bei Karge ist selbst alles nicht viel.

Zuerst wurde der Text gehörig abgeholzt und die von Jelinek gewünschten Filmeinspielungen auf ein Minimum reduziert; dann kein für Peter Handke selbstverständlicher Hermmanscher Bühnenwahnsinnsaufwand betrieben. Statt eines von der Natur heimgesuchten Raums vollzog Dieter Klaß mit einem grauen Zimmer, in dem drei Fenster Ausblick geben auf eine karge Felslandschaft, eine fein säuberliche Trennung von Innen und Außen.

Auf dieser Spielfläche nun bringt Karge Jelineks monströse Sprechfiguren als psychologisch vermittelte Menschen einander näher. Martin Schwab als alter Mann und Cornelia Lippert als Frau begnügen sich nicht mit einem die Person Heideggers bzw. Hannah Arendt nur andeutenden „winzigen Zitat“, sondern stürzen sich in ihre Rollen mit einer Identifikationssehnsucht, die sie vor Jelineks Diktum, daß ihre Figuren „verschwinden, wenn sie nicht sprechen“, bewahren soll. Ansonsten zeigt der Regisseur, was ihm nicht alles eingefallen ist: Die beim Vortrag des alten Mannes anwesenden Gäste und Kellner verwickelt er in eine Choreographie, die den Text so beim Wort nimmt, daß es alle von den Stühlen wirft, wenn Schwab sagt: „Alles fällt jetzt.“ Lore Brunner und Karl Fischer bieten als Frau und Mann in Tracht eine ungefährliche Kabarettnummer, und tote Bergsteiger werden in Karges Regie zu toten Osttouristen, die ihren Text in eine soziale Anklage verwandeln und derart eine Kategorie in Jelineks Ästhetik einbringen, die es dort nicht gibt: die Kategorie des Mitleids.

Totenauberg ist kein das Theater bedienender Text. Seine Widersätzlichkeit mit den konventionellen Mitteln des Theaters zu eliminieren versuchen, ist jeoch zwecklos. So kann das Stück nur zugrunde gerichtet, nicht aber für den normalen Spielbetrieb zugerichtet werden.

Das Musical „Elisabeth“ von Michael Kunze und Sylvester Levay, das kürzlich im Theater an der Wien seine Welt-Uraufführung erlebte und speziell von der Wiener Kritik arg zerzaust wurde, ist da schon aus anderem Holz geschnitzt — oder besser, aus gar keinem Holz, sondern aus einer Knetmasse, die nach der strengen Hand eines Regisseurs bettelt. Der Text von Michael Kunze unterwirft sich derart den Anforderungen des Unterhaltungstheaterbetriebs, daß er ihn gar nicht mehr bedienen könnte — wäre da nicht Harry Kupfer, dem das Kunststück gelingt, die Vorlage optimal einzusetzen, indem er sie zum Verschwinden bringt. Erbarmungslos setzt Kupfer gemeinsam mit dem Bühnenbildner Hans Schavernoch die Maschinerie in Gang. Die Bühne dreht sich und hebt sich, die Prospekte schweben herab und hinauf, die Lichter leuchten und strahlen — und die Darsteller stören auch nicht weiter: der Mörder, der weiß, das alles ist „Kitsch“, der Kaiser, der ahnt, „die Schatten werden länger“, seine Frau Elisabeth, die alles will, „doch manchmal ist wenig schon sehr viel“, und ihr Liebhaber, der Tod, der schon zu Beginn verkündet, „den letzten Tanz tanz ich mit dir allein.“

Die Musik von Sylvester Levay funktioniert manchmal wie ein Luftkissen, das einen emporträgt, und dann wieder wie ein Hammer, der gnädig zuschlägt, indem er den Text unter sich begräbt, wenn Kupfers Zentrifuge ausnahmsweise einmal nicht funktioniert. Die Musik jedenfalls richtete keinen Schaden an — vorausgesetzt die Töne gehen einem beim einen Ohr hinein und beim anderen wieder hinaus.

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