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Querulanter Maschinenstürmer

■ Vom 16.-22.9. findet in Köln die 22. Photokina statt

In diesem Jahr habe ich nach mehrjähriger Unterbrechung wieder die Photokina besucht. Alle meine Horrorvisionen wurden von der Realität um ein Vielfaches übertrofffen. Ich versuchte dort Interessenten für den „Verband der Dokumentarfotograf(inn)en“ zu finden, traf aber kaum jemanden, der überhaupt an der Problematik interessiert war.

Die Stände lagen auch unter einem derartigen Geräuschpegel, daß eine Diskussion nur wie in einer Maschinenhalle oder Diskothek möglich war. In der Halle 11 sah es gleich aus wie auf der Automobilmesse, da dort Car-Hi-Fi-Systeme mit mehreren tausend Watt vorgeführt wurden. Nur Autoalarmsysteme übertönten diesen Lärm kurzzeitig, um zu demonstrieren, daß man zwischen zwei Musikstücken auch bei einer 600-Watt-Anlage mit etwas Glück noch das Martinshorn eines Rettungsfahrzeuges hören kann.

Wozu diese Demonstration allerdings auf einer Fotomesse stattfindet, fragte sich so mancher Besucher. Aber auch viele andere branchenfremde Artikel haben Einzug in die ehemalige Fotomesse gehalten. Stereoanlagen, Lautsprechersysteme, Booster, Equalizer und Tonmöbel sind vertreten. Die gesamte Messe war aber, wie nicht anders zu erwarten, von der Computerbranche dominiert.

An mehreren Arbeitsplätzen wurde den staunenden Besuchern vorgeführt, wie einfach heute Fotos auf dem Bildschirm zu „bearbeiten“ sind. Bearbeiten heißt natürlich manipulieren, verfälschen, montieren und das Foto als Dokument zu entwerten. Auch die lange angekündigte Sensation der Photokina, die Foto-CD von Kodak, ist der Einstieg in eine Dimension der Fotografie, die mit der Abbildung von Wirklichkeit immer weniger zu tun hat.

Als Vertreter des „Dokumentarfotograf(inn)en-Verbandes“ kam ich mir vor wie ein Vegetarier auf einem Schlachterkongreß. Sogar bei den MedienkollegInnen im Pressezentrum hatte ich Schwierigkeiten, meine schlichten Flugblätter loszuwerden. Gegen die dicken Präsentationsmappen in schicker Umweltpappe mit 5 Gütesiegeln und Grünen Punkten versehen, kam ich einfach nicht an. Und wenn es mir gelang, ein Gespräch anzufangen, bemerkte ich bald einen verständnisvoll-mitleidigen Blick und bekam Sätze wie: „Ja, das ist ein wirkliches Problem, das Sie ansprechen, aber der Fortschritt ist in dieser Branche nicht mehr aufzuhalten.“ Ob das alles wirklich ein Fortschritt ist, wurde gar nicht in Frage gestellt. An den Ständen der Desktop-Publisher wurde ich regelrecht ausgelacht und als querulanter Maschinenstürmer dargestellt. Diese Leute sind Technik- und Computerfans, in deren Augen diese Technologie „wertfrei“ ist.

Der Dekan der Fachhochschule Bielefeld, Professor Gottfried Jäger, fragt in einer Presseankündigung des 13. Bielefelder Fotosymposions: „Wie orientiert sich das gesellschaftliche Bewußtsein in einer Welt, in der die Abbilder von Fiktionen nicht mehr zu unterscheiden sind?“ Diese Frage stellen sich die Hersteller der Illusions- und Illustrationsmaschinen nicht.

Eine Firma schrieb sogar groß über ihren Stand „Unsere Forschung und Technik dient ausschließlich der Steigerung Ihres Profits“. Deutliche und ehrliche Worte. Nach all diesen frustrierenden Photokina-Erlebnissen konnte es mich dann auch nicht mehr besonders erschüttern, daß Fuji auf einem mit Farn, Moos und Pflanzen geschmückten Stand auf Umweltpapier gedruckte Desinformationen über das beliebte Wegwerfkameraprodukt „Quicksnap“ verbreitet. Dort wird die Einmalkamera mit eingelegtem Film als das Nonplusultra des Umweltschutzes gepriesen. Die Logik bleibt dabei auf der Strecke.

Mein Resümée über diese Photokina: Eins muß man der schönen neuen Bilderwelt lassen. Der Generalangriff auf unsere Sehnerven kommt zu einem günstigen Zeitpunkt. Unsere Städte und Landschaften werden immer unansehnlicher und unüberschaubarer. Da paßt es gut, wenn wir zumindest auf den Fotos den Himmel wieder blauer, die Wiesen wieder grüner und das Wasser wieder klarer machen können.

Wie sollten wir diese Welt sonst noch ertragen? Günter Zint

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