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Wenn Montaigne Georgier wäre...

Aus dem umkämpften Abchasien in die georgische Hauptstadt: Fahrzeug ist ein löchriger Hubschrauber, und die Ehrengäste haben vier Räder  ■ Von Klaus-Helge Donath

„In einer Zeit, da es so gemein ist, Böses zu thun, ist es fast lobenswürdig, etwas unnützes zu thun.“ War Datu womöglich ein eifriger Leser des Franzosen Michel de Montaigne, der von diesem geliebte Essai seine bevorzugte literarische Gattung? Es schien zunächst so. Datu gab sich intellektuell, seine Gestik und sein Äußeres unterstrichen es — soweit ein Kampfanzug eine persönliche Note zuläßt. In letzter Sekunde sprang er noch in den aufsteigenden Helikopter, der die abchasische Hauptstadt Suchumi in Richtung Tbilissi verließ. Wir waren nur zu dritt in dem Frachthubschrauber, und dennoch drängelten wir uns. Ein nagelneuer Honda flog mit — eine Luxuslimousine. Im heißgeliebten Georgien erstaunt nichts mehr, man wird auf alles gefaßt. Wahrscheinlich gehört er irgendeinem höheren Armeefritzen, der seine neugewonnenen Vollmachten nutzt...

Wir waren noch nicht in der Luft, da raste ein Krankenwagen aufs Rollfeld. Hinter ihm Soldaten. Sie rissen die Tür auf, um einen Schwerverletzten auszuladen. Der sollte noch mit nach Tbilissi. Doch wohin mit ihm? Kein Platz mehr! Sie versuchten es beim nächsten Flieger hundert Meter weiter. Ebenfalls Fehlanzeige. Das begriff ich nicht. Mir war nicht wohl. Fast hätte ich etwas gesagt. Aber wieso? Die wissen schon selbst, was sie machen... Insgeheim war ich heilfroh, ohne weitere Verzögerung wegzukommen. Das ist gar nicht so einfach. Hätte ich nicht mittags noch beim Polizeipräsidenten um Erlaubnis gebeten, gefangene Freischärler aus dem Nordkaukasus im Gefängnis aufzusuchen.

Der Präsident saß sogar an Ort und Stelle. Wo er hingehört. Mit ihm sein Gefolge. Sogar am Sonntag. Aber anscheinend hatten die Gefangenen übers Wochenende Freigang. Der Präsident blieb stur. „Wochenende, basta!“ Gerade im Krieg muß Ordnung herrschen. Ich stand noch eine Weile da, benommen von derart blanker Mißachtung. Beim Hinausgehen — grußlos — fing sich der Blick an der üppig gepolsterten Tür. Löcher übersäten das Steppdeckenmuster. Einschüsse, einer neben dem anderen. Die Kugeln müßten noch drinstecken. Durchschüsse keine. Üben die hier? Wird ein Urteil gelegentlich sofort vollstreckt, auf dem schönen Parkettboden?

Vor der Tür stand Alekko. „Kann ich helfen?“ Ja, zum Flughafen. Geld wies er beleidigt zurück. Er wollte nicht glauben, daß der Flug ins Kampfgebiet schließlich auch Bakschisch in konvertierbarer Währung gekostet hatte. Er war regelrecht empört! Als hörte er dergleichen zum ersten Mal. Ich beruhigte ihn. Es sei doch ein gutes Zeichen, Georgien habe seine Eigenheiten bewahren können.

Kurz und gut, ohne Alekko hätte es keinen Platz im Hubschrauber gegeben, und ich wäre Datu nicht wiederbegegnet. Auf Anhieb kam er mir bekannt vor. Er musterterte mich. „Warst du nicht im Januar in Sugdidi?!“ „Ich war der Kommandant.“ Zwar lösten sich die Kommandanten damals mehrmals täglich wegen des wechselhaften Kampfgeschicks ab, aber mit Datu hatte ich gesprochen. Vollends klar wurde es, als er nach Zigaretten schnurrte. Wie damals. Wiedersehen muß gefeiert werden. Für alle Fälle lud er mich schon mal zum Champagner im Flughafen ein.

Zärtlich strich er über die kleine Schramme am rechten Kotflügel des Honda. „Das kurieren wir schon. Halb so wild. Es gibt Schlimmeres“. Der Scheinwerfer hatte auch etwas gelitten: „Kannst du mir nicht das nächste Mal...?“ Natürlich — kein Problem. Es war also Datus Wagen. Er hatte ihn mit ins Feld genommen, weil es nur in Suchumi einen KFZ- Schlosser gibt, der sich richtig auf den Japaner versteht, erzählte er beiläufig, fast unbeteiligt. Wir würden aber im BMW nach Hause fahren. Ich fragte nicht weiter nach. Es war zu mühselig bei dem höllischen Motorenlärm. Die Luken des Hubschraubers ließen sich nicht schließen. Also doch Montaigne?

Der Flug verlief ohne Zwischenfälle. Ab und an schaukelte das Auto etwas bedrohlich, der Schwerpunkt des Fliegers verlagerte sich Richtung Senkrechte. Doch nichts geht über die Schule sowjetischer Piloten.

In Tbilissi mußten erstmal Entladeschienen aufgetrieben werden. Datu wurde schon ganz nervös. Mit dem Champagner würden wir das wohl nicht mehr schaffen. Und der BMW? „Warte noch, der kommt gleich“, meinte er und hing sich seine MG um. Gerade war der Honda draußen, da landete der zweite Hubschrauber. Heraus glitt ein brandneuer BMW — ohne Kennzeichen. Der Kilometerzähler zeigte noch keine 10.000. Einem Nürnberger Autohaus muß er anfangs mal gehört haben, seine Plakette klebte noch samt Sticker eines bayerischen Privatsenders. Ich hielt es für indiskret, nach dem Beschaffungsmodus zu fragen. Kalaschnikows ruhten auf den Knien der Frontmänner; ich war nur mit einem Mikrofon bewaffnet. Mit Montaigne hatte ich mich also geirrt.

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