INTERVIEW: „Die Schuld gegenüber den Zigeunern muß bezahlt werden“
■ Serge Klarsfeld, Vorsitzender des „Vereins der Töchter und Söhne der Deportierten“ in Frankreich, zu Asyl und Ausländerhaß
taz: Worin liegen Ihrer Ansicht nach die Gründe für die Welle des Ausländerhasses in Deutschland?
Serge Klarsfeld: Die Ausländerfeindlichkeit nimmt derzeit in allen westlichen Ländern zu, doch was sich in Deutschland abspielt, hängt wohl in erster Linie mit der Wiedervereinigung zusammen. Auch die äußerst vage Vorstellung von der europäischen Einigung trägt zu dieser allgemeinen Entwicklung bei. Viele wollen nicht, daß Menschen aus unterentwickelten Ländern — sei es aus Osteuropa oder aus Afrika — dazukommen. Man will verhindern, daß andere etwas von dem Kuchen abbekommen. Dafür wird ein ausgefeiltes Polizeisystem sorgen.
Was halten Sie von den Reaktionen der deutschen Politiker und ihrem Wunsch, das Asylrecht zu verschärfen?
Deutschland will jetzt die rumänischen Asylbewerber zurückschicken, darunter sind viele Zigeuner. Die Deutschen dürfen aber nicht vergessen, daß sie viele Zigeuner massakriert haben. Natürlich kann Deutschland nicht die ganze Welt bei sich aufnehmen, doch diese Schuld gegenüber den Zigeunern muß bezahlt werden, auch wenn das unangenehm ist.
Wenn man in einer Nacht 12.000 Zigeuner in Auschwitz verbrannt hat, dann kann man doch den Preis des Asyls bezahlen, selbst wenn die Zigeuner vielleicht als nicht sauber gelten oder man sich über ihren Lärm ärgert. Die Deutschen ärgern mit ihren hohen Zinssätzen die ganze Welt, dennoch erklärt man ihnen noch längst nicht den Krieg. Jetzt ist der Augenblick gekommen, um die Schuld an den Zigeunern zu bezahlen, zumal die Zigeuner ja noch nicht einmal Reparationsleistungen erhalten haben.
Glauben Sie, daß der Anschlag auf ein jüdisches Mahnmal in Berlin und die Schändung eines jüdischen Friedhofs im Elsaß Ende August eine Folge dieses rassistischen Klimas sind?
Gewiß, da mag es schon eine Verbindung geben. Wenn mehrere hundert Leute gegen Ausländerwohnheime vorgehen, dann werden einige von ihnen auch an die Juden denken, und da sie selbst keine Juden kennen, wählen sie halt den einfachen und ungefährlichen Weg und greifen einen Friedhof an. Das ist jedoch marginal, es gibt derzeit keine judenfeindliche Kampagne.
Wie kann man die Welle der Gewalt eindämmen?
Entscheidend ist, Wirtschaftskrisen zu vermeiden, denn in Krisenzeiten kann man Gewalt und Ausländerhaß nicht verhindern. Wir brauchen dafür Konzertation und Kooperation der verschiedenen Länder. Ich bedaure, daß Deutschland die Zusammenarbeit verweigert und statt dessen zum Nachteil der anderen westlichen Staaten die Zinsen anhebt, um die Wiedervereinigung zu bezahlen. Das ist ein egoistisches Spiel.
Zudem ist es traurig, daß die Deutschen nicht über genügend menschliche Wärme verfügen, um das zu sagen, was nach diesen Gewalttaten gesagt werden muß. Helmut Kohl ist in dieser Hinsicht überhaupt nicht in Erscheinung getreten. Daraus muß man doch den Schluß ziehen, daß ihn das alles nicht besonders aufregt. Er hat versucht, die Waffen-SS zu rehabilitieren. Er gehört zu denjenigen, die die Banalisierung des Genozids scheinheilig gedeckt haben. Ich empfinde nichts als Verachtung für ihn.
Interview: Bettina Kaps
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen