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■ Oktoberfest München: Wies'n-Wirte machen dicken Reibach, aber:Serviererinnen abgespeist

Serviererinnen abgespeist

München (taz) — Immer, wenn die Kapelle „Fürstenfeld“ spielt, könnte Sabine* losheulen. Dann grölt das ganze Festzelt „I wui wida hoam“. Sabine will wieder heim nach Salzburg. „Fui mi do so alloa.“ Umgeben von zigtausenden Menschen fühlt sich Sabine allein.

Und beschissen. „Ich mußte für diesen Job bisher mehr Geld ausgeben als ich verdiene“, sagt die Aushilfskellnerin Nummer 192. Sie arbeitet im Biergarten des größten Festzeltes auf dem Münchner Oktoberfest. Für diesen Job mußte sie erst einmal zahlen: 350 Mark für die vorgeschriebene Arbeitsuniform — schwarzgoldene Dirndl. Für den Garderobennagel waren zwölf Mark fällig. An Werkzeug mußte Sabine noch Putzlappen, Eimer, Kugelschreiber und Geldtasche besorgen. Allein die Geldtasche kostete 77 Mark. Sabine sagt: „Ich wäre froh, wenn ich gestern soviel eingenommen hätte!“ Statt dessen hat der Serviceleiter bei ihr kassiert — 200 Mark Steuern für vier Tage.

Der Serviceleiter schätzt den Umsatz, der im gesamten Biergarten gemacht wird und treibt von jeder Gartenbedienung den gleichen Steuersatz ein. Das Kollektivdenken beschränkt sich aber nur aufs Zahlen. Die Einnahmen sind individuell. Jede Bedienung verdient exakt den Umsatzanteil, den sie selbst erwirtschaftet, plus Trinkgeld. So kamen Sabine und ihre zwei Kolleginnen, die für die abgelegensten Tische im Garten eingeteilt sind, am Montag auf einen Stundenlohn von etwa zwei Mark. Warum sie dann jeweils 50 Mark Steuer bezahlt haben? „Das ist halt so, da kann man nichts machen“, antwortet Sabine. „Life ist life“ lautet einer der Hits in den Festzelten, so ein Song prägt sich ein.

Ist Sabine nicht nur unerfahren, sondern auch unbeholfen und naiv? Die 22jährige Salzburgerin studiert Volkswirtschaft und schätzt ihre Lage realistisch ein: „Ich habe mir hier in München für zwei Wochen ein Zimmer gemietet, habe 500 Mark investiert. Ich kann jetzt nicht einfach aufhören“, sagt sie, „und wenn ich mich beschwere, fliege ich hier bestimmt raus.“ Ihr Chef, Serviceleiter Mayer, hat das, was seit dem Weltwirtschaftsgipfel als „bayerische Art“ bekannt wurde: hartes Hinlangen. Sein Standardspruch: „Stellt's euch ned so an!“ „Für unseren Chef sind wir nur Nummern, keine Menschen“, findet Kellnerin Susanne. Zahlende Nummern.

„Die Stimmung ist in den ersten drei, vier Tagen immer schlecht“, weiß Herr Huber von der Serviceeinteilung. „Da ist wenig los. Gemeckert wird nur dann, wenn keine Arbeit da ist, weil dann ham's Zeit.“ Seiner Einschätzung nach geht das Geschäft erst ab Freitag „richtig los“, das sei schon immer so gewesen. Außerdem veranschlage er für schlechte Tage auch weniger Steuern. Die alten Bedienungen, die den Job seit Jahren machen, meckerten nicht mehr, denn die wüßten Bescheid, wie's läuft.

In der Tat. Die sorgen auch dafür, daß sie die Tische bedienen, an denen erfahrungsgemäß genügend Umsatz gemacht wird. Für die Maßkrugschlepperinnen gibt es feste Stationen, Rotation ist nicht vorgesehen. „Wir sind doch nur Warteposten, für den Fall, daß sich mal ein Gast nach hier hinten verläuft“, stellt eine Randbedienung fest.

Schon am Eröffnungstag wies der Trend in Richtung Besucher- und Umsatzrückgang. Es kamen 100.000 Gäste weniger, wurden 50.000 Maß Bier weniger verkauft als im Vorjahr. Die wirtschaftliche Krisenstimmung, die Schwäche des Dollar und der Lira werden dafür verantwortlich gemacht. Indes sind es nicht nur unerfahrene Aushilfsbedienungen, die sich über die schlechten Arbeitsbedingungen beklagen. Seit sechs Jahren serviert die Architekturstudentin Karin auf dem Oktoberfest. Doch wie sie am Donnerstag auf einem Flugblatt schrieb, wollen die Bedienungen nicht länger die „Melkkühe“ sein. Sie drohte für Samstag mittag einen halbstündigen Warnstreik der Kellnerinnen an. Es geht um die Umsatzbeteiligung von zwölf Prozent, die in den meisten Verträgen vereinbart ist. Allerdings werden von den sogenannten Inklusivpreisen Mehrwertsteuer und Bedienungsgeld abgezogen. So bleiben den fleißigen „Fräuleins“ tatsächlich nur 9,4Prozent Umsatzbeteiligung bei Bierpreisen zwischen 8,50 und 8,85 Mark.

Karin will jetzt für eindeutig formulierte Verträge und bessere Konditionen kämpfen und baut auf die Unterstützung etwa der Hälfte aller Wies'n-Kellnerinnen. Natürlich wird keine Frau gezwungen, auf Münchens Bierfest herumzuflitzen. Etliche haben Spaß am Job, viel zu tun und gut gefüllte Geldtaschen. Nach der Einschätzung eines leitenden Brauerei-Mitarbeiters „holt ein Wies'n-Wirt aus seinem Zelt mindestens ein Einfamilienhaus heraus“. Klar, daß Großbetriebs-Wirte im großen Stil Gewinn machen. Unklar ist, wo die Grenzen zwischen Bierfest und Gierfest fließen. Doris Ehrhardt

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