Sanssouci: Vorschlag
■ F.W. Bernstein und Michael Sowa am Chamissoplatz
Wild wogt die Gischt, kaum dringt Sonnenlicht durch die vom Strom durchpeitschte Wolkendecke; das Meer ist ein nicht endenwollender Abgrund, der das kleine Floß schon in der nächsten Sekunde für immer an sich reißen wird. Einsamer und verlorener könnte kein Caspar David Friedrich die Kreatur in ihrem Schicksal festgehalten haben. Aber ach, der letzte Mensch auf Erden ... ein Schwein! Und noch eins, wie es vergnüglich an einem Sommertag vom Steg ins kühle Teigwasser springt, um sich zu erquieken. Wenn dann noch ein Schwein in der Suppe schwimmt, fragt man sich natürlich irgendwann, wer hier eigentlich auf den Schweinehund gekommen ist. Denn Michael Sowa kann zwar allerlei Getier von der Ente bis zum Huhn und vom drallen Bären bis zum steifen Pimmel portraitieren, aber nur bei dem menschlichsten aller Säuger wird ihm richtig warm um den Pinsel. Dann fließt dem spätromantischen Bildwitzmaler das Öl und Acryl voll Wonne auf die Hartfaserleinwand.
Michael Sowa ist weniger Karikaturist als ganz alter Meister, der Füßli unter der Spöttern, und Maler durch und durch. Kein rissig dahingekrakelter Nonsense, sondern jeder Cartoon ein eruptives Kunstwerk. Pastose Leidenschaft, wo anderen Karikaturisten ein »stilles Blatt« schon Genüge leistet. Gut, die Themen mögen zumeist aus demselben stammgetischlerten Unterbewußtsein kommen wie bei den Zunftbrüdern aus der Frankfurter Schule. Dann macht Sowa eben in der ersten Hälfte des Jahres 90 Bananenwitze Marke Ost, aber niemals in der gehetzten Manier all jener Zeichner, die am späten Nachmittag mit ihrer hastig ausgetüftelten Schnapsidee noch in den Satzschluß einer Tageszeitung kommen wollen. Bei Michael Sowa braucht gut Unkding seine Zeit, bis die naßforsche Blödelei zum sarkastischen Sittenbild reift. So sind schon vor der Ausstellung am Chamissoplatz fast alle Bilder verkauft, selbst das eben erst getrocknete Öl der »Überfahrt« ist bereits für 22.000 DM über den Zeichentisch gegangen, und die Nachfrage ist so groß wie bei einem Benz, obwohl Robert Gernhardt den Großverdiener unter den Einfaltspinseln standhaft im Katalog verteidigt: Sowa habe nie von der Masse, sondern immer nur von »Liebhabern« gelebt. Na so was.
Ganz anders: F.W. Bernstein, der sich auch weiterhin um die große Geste der humanistischen Karikatur bemüht, Goethe auf die Schippe nimmt und mit aphoristischer Wucht Schabernack mit den großen Geistern und nicht dem Zeitgeist treibt. Seine Bilder sind ans Sprachgefühl gebunden: Sinn- und/oder Feindbilder, die manchmal auch an das Herz mitten im Manne rühren, wenn zum Beispiel der melancholische und doch liebestolle Salonlöwe als jämmerliches Anhängsel an einer Partyschikse nuckelt, was Bernstein dem Betrachter direkt ins Gesicht »Die Schöne und Du« sagt. Auch Casanova ist nur die alte Teekanne Clara geblieben, an der der Greis noch schnäbeln darf. Hier unterscheiden sich die Bilder beider Zeichenmoralisten: Sowa schnappt den Moment auf und trägt ihn in eine malerische Vergangenheit, Bernstein träumt von der Geschichte und kritzelt es im Café auf Papier. Deswegen ist Bernstein Professor an der HdK, und Sowa macht Kohle. Harald Fricke
Bis zum 1.11., Di.-So., 14-19 Uhr, Galerie am Chamissoplatz
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