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Nachschlag

■ Wrestling in der Deutschlandhalle

Diejenigen, die da dachten, bei den »Superstars des Wrestlings« handele es sich um eine Veranstaltung ausschließlich für Prolligans, hatten sich furchtbar getäuscht. Schließlich war der Mitpräsentator eine Jugendzeitschrift (die mit Dr. Sommer) und so gab es statt Jogginganzügen eher einen Querschnitt durch die aktuelle Familien- und Jugendmode zu bestaunen. Aber alle, die da stundenlang nach (teuren) Karten anstehen mußten, waren zweifelsohne große Catch-Experten. Und mehr: Als eine Mittvierzigerin ein monströs bemaltes Kleinkind mit selbstgemaltem »Macho-Man«-Poster in der Hand aufklärte, daß das Idol sein erscheinen kurzfristig abgesagt hatte, löste dies einen ziemlich uncoolen Tobsuchtsanfall aus. Dabei war das Schlangestehen doch ansonsten eine äußerst informative und kurzweilige Angelegenheit, bekam man doch Informationen über die verpaßten Highlights der abgelaufenen TV-Woche (unter besonderer Berücksichtigung der Privaten), erfuhr Wissenswertes über das Sexualleben Frühpubertierender und lernte durch Vorbeidrängler etliche Nahkampftricks. Zudem standen überall hustende Opfer erster, heimlicher Lungenzüge, übten junge Menschen sich im Flirten (»Ey, auch Catchen kucken?« — »Ja!«) und Biertrinken.

In der proppenvollen Deutschlandhalle tobte dann der Saal, daß der Conferencier nur Englisch sprach, störte da niemanden. Einem geheimnisvollen Mechanismus folgend oder nur durch den Konsum einschlägiger Catch-Sendungen vorinformiert, war dem Publikum nämlich von Anfang an klar, welcher der Kämpfer böse (pfeifen, buhen, toben) oder gut (klatschen, jubeln, toben) ist. Die Beverly Brothers, in lila Pailetten gewandet, hatten so von Anfang an schlechte Karten gegen die menschliche Bulldogge »British Bulldog«, angetan mit gemeinst aussehenden Stachelnieten, und Bret Hart (im wirklichen Leben der Schwager der Bulldogge) ... dabei ist die ganze Aufregung beim Catchen doch kaum begründet: gut choreographiert passen die Catch- Stars bei ihren Kämpfen auf, daß sich sich nicht gegenseitig verletzen, den lauten, angsteinflößenden Knall erzeugen sie beim Fall durch einen einfachen Fausthieb auf die Matte — perfekte Körperbeherrschung. Richtig schön sind die angejahrten Herrn Kämpfer jedoch nicht, und selbst an Muskelmasse hatte mancher Berliner Zuschauer mehr zu bieten ...

Trotzdem herrschte weiterhin prima Stimmung beim Betrachten der Kämpfe, konnte man sich doch hin und wieder sogar richtig aufregen, wenn sich die Bösewichter durch heimtückische Aktionen erster Güte Vorteile verschafften. Die Gebrüder »Natural Disaster« (zwei Superfette), der Repo Man (ein halbfetter) und ihre Kollegen führten ihre Aktionen derartig anregend durch, daß so mancher sich im Haß auf die blinden Schiedsrichter ganz gerne eingemischt hätte: »Ich geh' da jetzt runter und klatsch' ihm eine«, und nur durch Intervention Umstehender zurückgehalten werden konnte: »Ach, laß das doch!« Trotzdem war vielen der Damen und Herren Zuschauer beim Rausgehen klar: »Die blinde Socke hätt' ich ohne weiteres gepackt.« Mit der ausgiebigen Erörterung des Show- sowie des TV-Programms der nächsten Tage fand dann ein schöner Abend sein leider viel zu frühes Ende. Elke Wittich

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