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Kommentare"Unsere ausländischen MitbürgerInnen"

■ Nicht der Ausländer ist das Problem, sondern der politische und journalistische Umgang mit dem Fremden

„Das Boot ist voll, das Boot ist voll“, hallt es aus allen Ecken und Enden des Landes wider. Da hatte einer, Mitte der achtziger Jahre, in die historische Mottenkiste gegriffen und dieses Schlagwort, das sich schon einmal während der Nazizeit bewährt hatte, herausgeholt. Als Köder wurde es den Medienwölfen hingeschleudert. Sie schnappten es mit Wollust auf. Dennoch kamen jährlich einige hunderttausend Flüchtlinge nach Deutschland; und als Ende der achtziger Jahre die Sowjetunion zu zerbröckeln begannen und wenig später die Mauer fiel, konnten Millionen Aussiedler und Übersiedler doch noch in dem vermeintlich vollen Boot einen, wenn auch nicht immer bequemen Platz finden. Selbst Hunderttausende von Flüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien konnten bisher das Boot nicht kippen. Es schwimmt munter weiter. Erstaunlich ist, daß sich niemand darüber wundert, sonst müßte man doch diejenigen Politiker und Journalisten, die die Behauptung vom vollen Boot in die Welt gesetzt haben, zur Rechenschaft ziehen.

Wo bleibt jener bohrende Zweifel, jene Genauigkeit, die man zu Recht zu den hervorragenden Eigenschaften der Deutschen zählt? Gelten diese Eigenschaften nur für die Studierstuben und Laboratorien? Vielleicht läßt sich dieses erstaunliche Phänomen damit erklären, daß in Deutschland, bis auf wenige Ausnahmen, ein wundersamer Einklang zwischen der herrschenden Politik, den Medien und der Bevölkerung besteht. Und gerade deshalb sind die Pfeiler der Demokratie in diesem Land immer recht brüchig. Kaum taucht eine Krise auf, und schon droht sie die Substanz der so mühsam errungenen demokratischen Strukturen zu zerstören (siehe die gegenwärtige Diskussion um den Artikel 16 und 19 des Grundgesetzes).

Nun sitzen wir miteinander in diesem Boot, achtzig Millionen Deutsche, sechs Millionen Ausländer oder, genauer, sechs Millionen Menschen mit nichtdeutschem Paß und nichtdeutschem Aussehen. So wollte es das Schicksal, würden wir Orientalen sagen. Wer will und kann es leugnen, daß es dabei Probleme gibt? Die Frage ist nur, wie man diese Probleme zu lösen gedenkt. Wie mir scheint, gibt es da zwei Lösungen. Entweder müssen die Deutschen, die die Anwesenheit der Ausländer als eine Katastrophe empfinden und ein „Durchrassen“ ihrer Kultur befürchten, die Nichtdeutschen über Bord werfen, sie verbrennen oder „in die Gaskammern stecken“. Das ist die Lösung oder „Endlösung“, die Neonazis und Skinheads anstreben, und nicht nur sie, sondern mit ihnen all diejenigen Massen, die noch nicht genügend Mut aufbringen, um selbst zur Tat zu schreiten, aber schon jubelnd den Terrorbanden Rückendeckung gewähren. Diese Absicht ist kein Hirngespinst mehr. Das Monster wächst.

Eine zweite Lösung besteht in dem Bestreben, miteinander auszukommen. Auch bei dieser Lösung bieten sich zwei Wege an. Man könnte, wie manche Politiker es wünschen, versuchen, alle Türken, Iraner, Tamilen und andere, die in der Bundesrepublik leben, in Deutsche zu verwandeln. Das würde voraussetzen, daß man den „Fremden“ ihre kulturelle und nationale Identität austreibt und ihnen die „deutsche Seele“ einimpft. Was dabei herauskäme, wäre widerlich. Diesen Versuch hat man früher Assimilation genannt, dasselbe meinen heute manche, wenn sie von Integration sprechen. Musterexemplare davon gibt es schon: Menschen, die innerlich hohl, verkümmert und psychisch verunstaltet sind. Sie sind wunschgemäß bereit, jederzeit den Deutschen nach der Pfeife zu tanzen, sogar das Gerede vom vollen Boot nachzuplappern und die Schließung der Grenzen für weitere Flüchtlinge zu fordern. Man nennt sie „unsere lieben Ausländer“. Doch selbst die uneingeschränkte Anpassung vermag ein wichtiges Problem nicht aus der Welt zu schaffen: das fremde Aussehen, die dunkle Haut, die schwarzen Haare, die schwarzen Augen. Und gerade dieses Aussehen, diese Physiognomie mögen manche Deutsche nicht.

Die bedingungslose Anpassung bringt keine Lösung. Die wichtigste Voraussetzung dafür, daß wir tatsächlich miteinander auskommen, besteht in der gegenseitigen Akzeptanz. Es ist nicht einsichtig, daß Menschen, die zum Teil seit 20, 30 Jahren hier leben, die teilweise hier geboren sind, die alle Pflichten eines normalen Bürgers — ausgenommen die Wehrpflicht — zu erfüllen haben, nicht dieselben Rechte genießen und ständig ausgegrenzt werden. Gegenseitige Akzeptanz bedeutet aber auch, daß man Menschen, die aus anderen Kulturräumen stammen, nicht ständig als arme Schlucker, als Unmündige behandelt. Man muß sie als Persönlichkeiten, als Träger von Kulturen ernst nehmen und ihnen die Möglichkeit einräumen, sich selbst zu verwirklichen. Betrachtet man jedoch die hiesigen Medien, dann stellt man fest, daß Ausländer im Grunde nicht wahrgenommen werden, es sei denn als „Problem“. Selten erhalten sie Gelegenheit, ohne Bevormundung ihre Beobachtungen, Eindrücke, Probleme, Ansichten darzulegen.

Die taz möchte dieser Ausgrenzung und Diskriminierung entgegenwirken. Alle vierzehn Tage sollen auf zwei Seiten Bürgerinnen und Bürger dieses Landes mit nichtdeutschem Paß — man nennt sie „unsere ausländischen Mitbürger“ — die Gelegenheit erhalten, sich auszutoben. Vielleicht wird es uns gelingen, damit eine Brücke zu schlagen, auf der wir uns als gleichberechtigte Menschen begegnen. Wer daran mitarbeiten will, sei herzlich willkommen. Bahman Nirumand

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