piwik no script img

Tango tanzen und schlucken

■ 1. Hamburger Festival zu Ehren des Tango Argentino im Museum für Völkerkunde

im Museum für Völkerkunde

Der tangodurchschüttelte große Meister Roberto Goyheneches, Sänger der Filmmusik von El Sur, war krank. Also kein Charisma, keine Legende, keine Durchschüttelung? Der Tango lebt gerade davon, daß etwas fehlt - auch beim Festival Tango Argentino 92, das gestern im Völkerkunde-Museum zu Ende ging. Man muß viel schlucken im Leben, und der Tango ist eine Schluckmusik, ein Schluck-Gesang, eigentlich auch ein Schluck-Tanz. Der Tango verfährt mit der Tücke des Lebens.

Tücke spielte auch dem Gitarristen Mario Nunez aus Montevideo mit. Erst ging das Flugzeug kaputt. Kaum in Hamburg - mit Verspätung - angekommen, haut er sich kurz vor dem Auftritt an einem Schrank den Kopf auf, muß blutüberströmt zum Arzt, um sofort darauf zu spielen. Und er spielte nicht zum Hinlegen, sondern zum sanften, ehrfürchtigen Innehalten. Da muß man schlucken, und sei's trocken.

Was ist Tango? Diese Frage bearbeitete Hugo Diaz mit seinen Leuten: Großartiger Schwebezustand und im Keller bullert es. Ist Tango Kammermusik? Ist Tango sportiv-laszives Getanze? Große Anstrengungen finden statt im Gestalten des Nichts. Die Lieder, ach ja, Tango hat auch Worte - die Lieder singen von Liebe, die den Wald vor lauter Liebe nicht mehr kennt, dazu dann der Tanz, der dies alles eitel beschwört. Mit Hugo Diaz, Luis Elchebarne, Venificio Ascone, Mario Nunez, dem Sextetto Canyengue mit dem unvergleichlichen Carel Kraayenhof am Bandoneon, mit Nancy de Vila - die mit der großartigen Courage - Enrique Freixa, Alfredo Palacio und nicht zuletzt Marie-Paule Renaud, die das Fest veranstaltete und auch noch tanzte - mit dieser ganzen enthusiastischen Ratlosigkeit, mit dieser großen Kunst mit dem Thema, das ausgesprochen und umgangen werden muß, muß Weiteres geschehen. Bis dahin wird man noch viel zu schlucken haben, mit oder ohne Durchschüttelung. Marcus Baumgratz

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen