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„Ich nehm' den Schwarzen mit der Haßkappe“

■ 30.000 Zuschauer erzockten am Sonnabend in Hoppegarten, der schönsten Galopperbahn des Landes, einen Rekordumsatz von über einer Million Mark

Hoppegarten (taz) — Zwei Dinge vorweg. Erstens: In diesem Artikel wird — großes barschelloses Ehrenwort — kein (rpt.: kein!) einziges Wort über Hüte, Krempen, Schleier verloren. Zweitens: Ein abgehalfterter Rethorik-Gag bekommt endlich das Gnadenbrot. Liebe Galoppsportlaienfreunde, leider, leider kommt der Name Hoppegarten nicht, wie Sie renntag ein, renntag aus mit vorwitzigem Spitzbubenlächeln vermuten, von Hoppe-Hoppe-Reiter, sondern von Hopfen wie Bier, das seinerzeit dort angebaut wurde. Noch heute sollen uns die zahlreichen Sonnenschirme von Holsten an diese denkwürdige Zeit erinnern.

Zum Zentrum des Pferdeapfels wurde Hoppegarten 1868. Der wettbegierige Pferdeadel hatte König Wilhelm und Kanzler Otto damit geködert, auf einer schönen Anlage aufs erhabenste repräsentieren zu können. An der Eitelkeit gepackt, bissen die Landesbestimmer zu. Baumeister Carl Bohm wurde nach Paris-Longchamp gesandt, die Schönheit solcher Anlagen zu studieren. Voll inspiriert kehrte er zurück und entwarf eine Rennbahn, die bis heute zu den bezauberndsten der Welt zählt.

Das riesige Areal von 6.600 Hektar (heute immerhin noch 440) liegt im Wald. Wie ein mittelalterliches Bauerndorf glucken Stallungen, Verwaltungsgebäude, Wiegeraum und Zeughäuser lockerer beieinander. Vornehm knirschende Kieswege geleiten vorbei an niedrigen Zierhecken auf dem malerischen Führring. Dort, unter ehrfurchtgebietenden Kastanien, können die vierbeinigen Hauptdarsteller nackt begutachtet werden. Eine Pflegerin wirft den Jockey aufs edle Vollblut, und ab geht's, vorbei an der Anzeigetafel, die immer noch per Flaschenzug betätigt wird, zum Start.

Freudige Erregung auf den dreißigmal überlackten Tribünen. Hie und da bröckelt im Getümmel der Putz. Die Gatter zu den Logenplätzen knarren und klemmen. Vor den kleinen, hölzernen Totalisator-Buden drängeln die Wetter. Es ist dieser marode Charme, gewachsen in 40 Jahren DDR-Rennbetrieb, der Hoppegarten zu etwas ganz Besonderem macht. Ein Ausflug dorthin ist Sommerfrische und Fontane, Zockerbill und Broiler aus Königs Wusterhausen.

Am Samstag roch es in Hoppegarten zudem verdächtig nach Zigarren. Der Prix Zino Davidoff wurde ausgelaufen, das höchstdotierte Rennen dieser Kategorie Europa III (2.000 m) in Deutschland. 520.000 Mark Preisgeld ließ der 86jährige Rauchwarenmogul aus Genf springen, um der wiedererwachten Galopprennbahn auf die Sprünge zu helfen, um deren Besitz sich das Land Brandenburg mit dem enteigneten Alteigentümer Union Klub streitet. Vollblüter sind ein einzigartiges Kulturgut, findet Davidoff, dessen Gesicht enorme Ähnlichkeit mit dem von Prince Charles und einzigartigen Kulturgütern aufweist. So strahlte der weißhaarige Mann wie ein Pferd, als er dem siegreichen vierjährigen Hengst Perpendicular den Lorbeerkranz zum Fraße vorwarf.

Der Großteil der Wetter hingegen hätte den schnellen Rappen am liebsten gewürgt. Der Vorjahressieger George Augustus vom Scheich al Maktoum war Favorit. Der jedoch war zu schlapp und galoppierte gemütlich hintendrein. So konnten sie einem leid tun, die fiebrigen Berufszocker, wie sie kettenrauchend und mit Angstschweiß auf der Stirn das Rennen durchlitten. Nach der Tortur sieht man sie wütend die Fachzeitung knüllen und ihre Wettzettel zerbeissen.

Wirklich Spaß an der Sache kann man nur haben, wenn man nichts versteht vom Galoppsport. Erst dann nämlich sind der Wetttaktik keine Grenzen gesetzt. Völlig unbeleckt von jeglicher Fachkenntnis, fällt man am Führring die abenteuerlichsten Urteile. „Schau, wie der tänzelt, der ist heiß.“ Oder „Schau, wie der tänzelt, der ist viel zu nervös.“ Oder: „Schau, wie der tänzelt, der hat Angst, das arme Tier.“ Gern wählt der Laie auch nach den Farben der Tiere. Viele schwören, ein bestimmtes Pferd habe sie vor dem Rennen intensiv angeschaut. Auch das Geschlecht kann notfalls als Kriterium herhalten und ist nicht minder untauglich als das der Sattelfarbe. Selbst der Kopfschmuck der Pferde, Scheuklappen und Mützen, gelten als Indizien: „Ich nehm' den Schwarzen mit der roten Haßkappe.“ Als verdächtig professionell gilt hingegen, wer nach erfolgreichen Jockeys setzt. Die Dichter unter den Fans wählen nach den Namen. Zu dumm nur, daß „Hans im Glück“, der alte Verbrecher, keines hat. Auch „Hondo Mondo“ strampelt umsonst, „Complete Agreement“ hält sich ganz und gar nicht an die Abmachung. „Night Girl“ war offenbar verkatert, und nicht einmal der „Duke of Fun“ war in Stimmung. Tief enttäuscht wurden alle Schwarzenegger-Fans, die auf „Iron Fighter“ gesetzt hatten. Statt zu kämpfen, ließ sich der verantwortungslose Zosse auf der Zielgeraden von Stute Arastou und Hengst Goodfalk überholen. Platz vier, kein Sieg, kein Platz, futsch ist die Dreierwette. Bloß schnell vergessen und wieder hinein ins Spiel von Ebbe und Flut. 30.000 Leiber schieben sich von der Tribüne zum Führring, eine halbe Stunde später zurück, immer wieder, zehnmal an diesem Tag. Bis schließlich nur noch Ebbe herrscht, im Geldbeutel. Na, immerhin, wir waren dabei, beim neuen Hoppegarten-Rekordumsatz von über einer Million Mark. Und nächstes Wochenende, da klappt's bestimmt. Michaela Schießl

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