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„Hammelsprung“ im Parlament

■ Die Koalitionsfraktionen stimmen erstmals gegeneinander/ Streit um Haltung zu PDS und Stasi-belasteten Abgeordneten

Berlin. Die Koalitionsfraktionen CDU und SPD haben am späten Donnerstag abend nach einer überraschenden Geschäftsordnungsdebatte über das weitere Verhalten der Mehrheit des Parlaments zur PDS-Fraktion, die zwei Stasi-belastete Abgeordnete nicht aus ihren Reihen ausschließen will, erstmals geschlossen gegeneinander gestimmt. Die Kontroverse beruht auf der fortgesetzten Weigerung der PDS, zwei Abgeordnete auch nach der Empfehlung des Ehrenrates des Abgeordnetenhauses auf Mandatsniederlegung wegen einer früheren Tätigkeit für das DDR-Ministerium für Staatssicherheit auszuschließen.

Die FDP-Fraktion hatte während der Parlamentssitzung als Reaktion gefordert, alle PDS- Anträge durch Mehrheitsbeschluß von der Tagesordnung nehmen zu lassen, bis die PDS-Fraktion der Empfehlung des Ehrenrates Folge leiste. Damit solle ein Zeichen für die Glaubwürdigkeit des Parlaments gesetzt werden.

Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Helmut Fechner, meldete jedoch verfassungsrechtliche Bedenken gegen ein solches Absetzen eines PDS-Antrags nach Artikel 61 der Geschäftsordnung an. Diese solle nur den ordnungsmäßigen Ablauf der Parlamentssitzung sichern, sie dürfe nicht als „politisches Instrument“ eingesetzt werden. Dem Verhalten der PDS-Fraktion müsse mit politischen Mitteln begegnet werden, diese sei durch Wahl demokratisch legitimiert.

Bei der anschließenden Abstimmung über den FDP-Antrag war die Lage trotz der gegensätzlichen Block-Voten von CDU und SPD so unübersichtlich, daß ein Hammelsprung vonnöten wurde. Die CDU hatte mit für den FDP-Vorstoß gestimmt, die SPD mit den zwei weiteren Oppositionsfraktionen dagegen. Bei dem Hammelsprung wurde der FDP-Antrag mit knapper Mehrheit abgelehnt: Bei zwei Enthaltungen stimmten 95 Abgeordnete dafür, 99 dagegen.

Gestern bekräftigte der SPD- Fraktionsvorsitzende Ditmar Staffelt die Haltung seiner Partei, die Auseinandersetzung um die belasteten PDS-Abgeordneten müsse politisch geführt werden. Er verwies darauf, daß die PDS „zweifelsfrei über eine demokratische Legitimation verfüge“. Es widerspreche dem parlamentarischen Verständnis der SPD, diese Legitimation mit Hilfe von Geschäftsordnungsverfahren zu unterlaufen.

FDP-Fraktions- und Parteivorsitzende Carola von Braun bezeichnete gestern die Anwendung der Geschäftsordnung als „ein legitimes und demokratisches Mittel der Politik“. Ihrer Fraktion sei es nicht darum gegangen, die demokratische Legitimation gewählter Volksvertreter in Frage zu stellen. dpa/taz

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