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■ Das Verbot der Nationalen Rettungsfront in Rußland ist nicht klug, aber auch nicht falschWer regiert – Jelzin natürlich!

Er haut wieder einmal zu und spielt Schiffeversenken, Boris Jelzin. Mit dem Verbot der Front der Nationalen Rettung, die im Volksmund schon zutreffend „Notstandskomitee Nummer zwei“ getauft wurde, schickt der russische Präsident diese übelriechende rotbraune Masse auf Tauchkurs. Gewöhnlich erweist es sich als Fehler, Extremisten am offenen Auftreten zu hindern. Allein das Budget der Sicherheitsorgane wird dadurch erheblich mehr strapaziert. Parallel dazu schickt der Parlamentsvorsitzende Chasbulatow seine tausendköpfige Prätorianergarde mal eben vor das Gebäude der Tageszeitung Iswestija, um das Medium zum Sprachrohr seines Parlaments zu machen. Chasbulatow ist Tschetschene, er liebt das Waffenklirren, für ihn ist die Mafia anscheinend so etwas wie Familienersatz. In der Provinz stänkert Vizepremier Ruzkoi mit seiner zweitklassigen Entourage gegen die Politik in Moskau, und im Dezember tagt der Volksdeputiertenkongreß, der ohnehin alles in Grund und Boden votiert ... Und dennoch frage niemand, wer denn nun eigentlich in Moskau regiere? Jelzin natürlich.

Die Russen lieben Theater. Die Wirren des Umbruchs haben ihnen Kulturverzicht abverlangt, mögen auch soeben die Tschechow-Festspiele zu Ende gegangen sein. Das Politspektakel ist unterhaltsamer als „Kabale und Liebe“. Jelzin hat einen Gegner erdolcht, aber schon in der nächsten Vorführung wird er wieder mitwirken. Je widerspenstiger sich die Rotbraunen geben, desto weniger können sie an den Machtverhältnissen rütteln. Daher verwundert es zunächst, warum der Präsident zu einer derart drastischen Maßnahme griff, sogar noch den Westen in seine Verbotspolitik involvierte.

Das Verdikt gegen die Rotbraunen gilt denn auch einem anderen potentiellen Gegner – den Zentristen um Ruzkoi, die den Reformkurs der Regierung tatsächlich beeinflussen können. Sind die Extremisten erst einmal diskreditiert, womöglich durch den Spruch des Verfassungsgerichtes, können sie sich schwerlich auf eine Stimmkoalition mit den faschistoiden Schreihälsen einlassen. Tun sie es doch, hätten sie sich gänzlich unglaubwürdig gemacht. Dann wäre der Weg frei zu einem Referendum – vorbei am Kongreß, der zum letzten Mal getanzt hätte. Wer regiert in Moskau? Jelzin natürlich. Klaus-Helge Donath, Moskau

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