Theater als „Bild“-Zeitung

■ Zum Beispiel Potsdam: Ariel Dorfmans Pflichtstück „Der Tod und das Mädchen“

Literaturprofessoren erobern nach dem Roman nun das Theater. „Man braucht die Stars vor allem dann, wenn der Inhalt gegen den mainstream geht“, bemerkte in seinem Gespräch mit theater heute Autor Ariel Dorfman zur Broadway-Inszenierung von „Der Tod und das Mädchen“. Eine zufällige Begegnung einer Frau und früheren Folteropfers mit ihrem betreuenden Arzt und Quäler, während der sie zur Pistole greift und ihn zum Geständnis zwingt.

Dazwischen der Ehemann, der der offiziellen Untersuchungskommission angehört und auf dem Rechtsweg besteht. Darüber, daß sich der Inhalt des Stückes nicht im mainstream bewege, könnte sich der Autor sehr irren. Das Publikum bekommt seine regelmäßige Abendkost, Bedrohung, Mord, Vergewaltigung, in einer Story verpackt, die eindeutig lokalisierbar ist, also auch noch dem verbreiteten Realismus-Bedürfnis entspricht. Der Spannbogen des Stückes ist eine Rachephantasie, wie sie fast tägliche Grundlage von Leitartikeln ist. Eine zum absoluten Objekt gemachte Frau macht wiederum ihren Peiniger zum absoluten Objekt. Sie würde ihn auch vergewaltigen, wenn sie könnte. Sie besinnt sich auf gewaltsame Geständniserpressung als Alternative.

Voyeuristisch kann man auch latente sadistische Bedürfnisse befriedigen. Dem Arzt, der seinen hippokratischen Eid brach, läßt die Potsdamer Inszenierung zweimal die Hoden quetschen. Der Arzt seufzt wie die Gefolterte nach Wasser, schlingt Essen, wird gebrochen, verweigert sich am Ende der Reueforderung der Frau, wie die einmal einen Namen nicht verriet, den man von ihr wollte. Verhüllend wird von Polit-Thriller, Krimi-Struktur als Grundlage, gesprochen, während der nackte Horror auf dem Theater genießbar und gesellschaftsfähig wird.

Die Flut der deutschen Dorfman-Inszenierungen erreicht nun nach der Münchner Erstaufführung die Tore von Berlin. Das Potsdamer Hans-Otto-Theater produzierte das Drei-Personen- Stück in der neuen Studiobühne an der Heinrich-Mann-Allee (Regie: Bernd Weißig).

Im Osten werden Täter- und Opferverstrickungen bis in die Familien hinein gelebt und ausgefochten. Dafür bräuchte es ein öffentliches Medium, das bei den Gefühlslagen ansetzt. Das Theater macht ein Boulevard-Angebot. Bertold Rünger