: Ortsbesichtigung: Das Sputnik
Vom Besetzereck zum Off-Off-Konzern: Seit acht Jahren laviert das Sputnik-Kino erfolgreich zwischen Kommerzdruck und Programmkinoanspruch ■ Von Gerd Hartmann
Mit dem Schild „zu vermieten“ beginnen viele Erfolgsgeschichten. Aber diese geht viel früher los – und genauso klischeehaft. Ein kleines Grüppchen Filmbesessener zog Anfang der Achtziger vom piefigen München ins bewegte Berlin, um Kiezkino zu machen. Im Kreuzberger „Besetzereck“ zeigten sie aufmüpfige Filme, ahnungslose Gäste in einschlägigen Kneipen wurden zwischen Milchkaffee und Vollkornkuchen mit „Cafékino“ überrascht. Der Erfolg war durchwachsen. Deshalb begann man, sich in eigens zum Zwecke des Geflimmers ausgestattete Räume zurückzuziehen. Das „Frontkino“ war der Ursprung der Sputnik-Geschichte.
Die Kino-Missionare entdeckten es 1984 bei einer Autofahrt durch den Wedding. Ein unscheinbares Schild klebte an einem Hinterhofkino in der Reinickendorfer Straße. Das hatte seine besten Zeiten schon lange hinter sich. Für Grenzgänger aus dem Ostsektor 1957 erbaut, dümpelte das ehemalige „Clou“ nach dem Mauerbau vor sich hin, zuletzt mit türkischen Filmen. Für einen Abstand von 35.000 Mark erhielten die Kreuzberger Freaks einen vergammelten Saal nebst verrotteter Technik. Das „Sputnik“ war geboren.
Mittlerweile ist aus dem Kult- Kino im falschen Viertel, das mit seiner wilden Mischung aus bellenden Punkhunden, außergewöhnlichen Programmreihen und leichtem Pissegestank im Saal, die Szene zur weiten Reise in den Prolo-Bezirk veranlaßte, ein Erstaufführungskino geworden. Hausherr Schering fungierte als Co-Finanzier bei der Renovierung des inzwischen denkmalgeschützen Kinos, die Nord-West-Deutsche Klassenlotterie stiftete den lang ersehnten Profi-Projektor.
Aus den Projektionisten vom Hinterhof wurde Berlins größter Off-Off-Konzern: 1988 eröffnete die Dependance am Südstern, 1990 kam das Xenon dazu. Im gleichen Jahr schafften sich die rührigen Filmmaniacs in der Freiluftbühne Hasenheide ein Standbein für das Sommerloch. Als viertes Kind wurde im Oktober dieses Jahres das Kino im Tränenpalast geboren. Geschätzte 120.000 Zuschauer im Jahr bringen einen Jahresumsatz von über einer Million Mark. Ein eigener Filmverleih, der seit 1989 existiert, trägt sein Schärflein dazu bei.
„Eigentlich ist die Expansion aus einer Milchmädchenkalkulation entstanden: doppelter Umsatz bei minimaler Mehrarbeit, so haben wir uns das gedacht“, erklärte Hans Habiger, einer der ehemaligen München-Flüchtlinge und mit 42 Jahren immer noch dabei. Natürlich ging die Rechnung nicht auf. Die 70-Stunden-Woche ist bei der Kern-Crew auch heute noch normal. Von den sechs Leuten ist jeweils einer für ein Kino verantwortlich. Das Programm wird zentral festgelegt. Pro Woche einmal tagt das Programmplenum, in dem jeder seine Ideen vorstellt. So steht es zumindest auf dem Papier. In der Praxis sitzen in den seltensten Fällen alle um den Tisch. Die Planer stehen gleichzeitig hinter Kasse und Projektor. Insgesamt zwanzig Leute beschäftigt die Gesellschaft, die seit diesem Jahr nur noch beschränkt haftet. Jetzt haben alle Angestelltenstatus und werden mit stolzen 1.800 Mark pro Monat bezahlt. Die hohen Lohnkosten zwingen allerdings auch zur weiteren Expansion. Ein konkretes Objekt der Begierde gibt es aber zur Zeit nicht.
Die „aufrechten Linken“ des Stadt kritisieren die ständige Ausdehnung heftig. Das alternative Radio 100 labelte seine Ankündigungen immer als „Programm des Sputnik-Konzerns“ – und bat die vermeintlichen Monopolisten um Penunze, als ihm das Wasser bis zum Hals stand. Film-Eminenz Manfred Salzgeber, Panorama- Chef und selbst Kleinverleiher, beklagte sich mehrfach öffentlich, daß hier das Kommerz- vor dem Kunstinteresse stünde.
Solche Vorwürfe nehmen die Macher mittlerweile leidlich gelassen hin: „Wir haben noch nie jemanden beschissen. Außerdem ernähren wir zwanzig Leute von unserer Arbeit“, meint Programmacherin Anna Kruse. Etwas Ärger schwingt in ihrer Stimme allerdings mit.
Seitdem 1988 während einer Reihe französischer Pornos der vierziger Jahre fünfzig vermummte und behelmte Frauen den Saal stürmten und die Leinwand zerschlitzten, ist das Verhältnis zur alternativen Szene distanziert: „Das unterschied sich in nichts von einem Fascho-Angriff.“ Das Programm lasse man sich von niemandem vorschreiben. Diesen November stehen deshalb wieder klassische Pornos auf dem Spielplan. So versuchen die Sputniks weiter den Spagat zwischen gutem Kino und Geschäft. Die MacherInnen stehen zum filmischen Gemischtwarenladen. Trotz des erzwungenen Schielens auf die Kasse ist Anna Kruse der Enthusiasmus nicht abhanden gekommen. „Wenn mal bei einem dieser garantierten Flops, die meistens unsere Lieblinge sind, das Publikum strömt, dann könnte ich heulen vor Glück.“
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