: Polizei: Schuld wenn's knallt?
■ Dagobert: Nach Fahndungspatzern Angst vor neuen Anschlägen
: Nach Fahndungspatzern Angst vor neuen Anschlägen
Nach der verpatzten Jagd auf den Karstadt-Erpresser „Dagobert“ herrscht beim Kaufhauskonzern Angst vor neuen Anschlägen. Wird der Erpresser das Weihnachtsgeschäft nutzen, um dem Konzern durch eine weitere Bomben-Detonation unter Druck zu setzen? Ist womöglich sogar die Polizei schuld daran, wenn jetzt aufgrund ihres Verhaltens Menschenleben in Gefahr geraten?
„Er ist immer davon ausgegangen, daß die Polizei nicht außen vor ist, sondern daß wir vor Ort sind.“ Mit diesen Worten versucht Polizeisprecher Wolfgang Lüdtke gegenüber der taz das Vorgehen in Sachen „Dagobert“ zu rechtfertigen. Doch auch der Kripo-Mann mußte in den vergangenen Wochen seine Einschätzung korrigieren. War er noch Mitte Juli — nach der ersten nächtlichen Explosion in der Porzellanabteilung bei Karstadt- Mönckebergstraße — der Meinung, daß „Dagobert“ keine Menschenleben gefährden würde, wurde er jüngst eines anderen belehrt. In Hannover ließ „Dagobert“ kurz vor Geschäftsschluß einen Sprengsatz detonieren, wodurch zwei Menschen verletzt wurden, wenn auch nicht schwer.
Nach der verpatzten Aktion vom vergangenen Donnerstag — ein MEK-Beamter hatte „Dagobert“ bereits gepackt, als er auf Hundekot ausrutschte — sitzt nun die Polizei insgesamt in der Scheiße. Lüdtke: „Ich kann nicht ausschließen, daß er verärgert ist, nachdem wir ihm so dicht an der Wäsche waren.“ Und auch „Dagobert“ hat ein Problem. Selbst wenn er das Risiko eines neuerlichen Geldübergaberversuchs eingehen würde, könnte er nicht sicher sein, daß ihm mit dem Koffer wirklich auch die geforderte Knete überreicht wird. Schon einmal waren ihm statt einer Million Mark in Farbe getränkte Papierschnipsel übergeben worden.
„Dagobert“ wird durch den bisherigen Verlauf der Erpressung also sozusagen zum Handeln gezwungen — Wenn er weiter ernst genommen werden möchte. Polizeisprecher Lüdtke beschwichtigt: „Wir hatten niemals vor, ihn aus der Reserve zu locken. Er kann nach wie vor Kontakt aufnehmen.“
Dennoch hat die Polizei durch ihre Selbstüberschätzung das Dilemma ausgelöst, das Karstadt Umsatzeinbußen in Millionenhöhe bescheren könnte. Daher zeigt man sich im Konzern über das polizeiliche Agieren wenig erfreut
und gibt sich weiter zahlungswillig. Karstadt-Sprecher Thomas Münstermann zur Papierschnipsel- Aktion: „Wir waren von der Polizei nicht gefragt worden.“ Lüdtkes Konter: „Es gibt grundsätzliche Absprachen mit dem Konzern.“ Aber auch er gesteht ein: „Wir haben Punkte, wo wir prüfen müssen: Können wir es noch verantworten, für eine Million Mark Menschenleben zu riskieren?“
Kai von Appen
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