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Ortsbesichtigung: Der Friseur in der Botschaft

■ Der Verein „Botschaft e.V.“ ist wie ein Stück Würfelzucker: Energiegeladen organisiert er seit zwei Jahren künstlerische und andere Projekte in Berlins alter Stadtmitte/ Aus einem alten Herrenfriseur-Salon wurde ein ausgesprochen umtriebiger Kulturort

Die Decke des Raums zeigt stückweise Stahlträger. An der Wand ein schwarzes Telefon, klingelnd. Der Stau auf der Hauptstraße ist weit entfernt, Verbindung zur Welt – eine Stahltür: Mauerstraße, Berlin Mitte, im Hause der Württembergischen Metallwaren-Fabrik (WMF). Hier, nicht weit von ausgedienten Gebäuden diplomatischer Vertretungen, entstand im Juli 1990 „Botschaft e.V.“.

Die Botschaft ist ein Verein – und wie ein Stück Würfelzucker. Komprimierte Energie ohne endgültige Form – so die Selbstdarstellung der Gruppe, Künstler im weitesten Sinne, die sich nicht definieren lassen wollen.

Der 4. Stock des WMF-Hauses, zu DDR-Zeiten für die Verwaltung bewaffneter Einheiten volkseigener Betriebe (Kampfgruppen) genutzt, war im Herbst 1989 von Punks besetzt worden. Ein halbes Jahr später übernahmen die Mitglieder des neugegründeten Botschaft e.V. die Etage und tüftelten ihr erstes Projekt aus. Thema: interdisziplinäre Arbeit und Stadtteilkultur. Sie baten Architekten, Handwerker, Psychologen, Stadtplaner, Maler und andere Aktionisten, eine Woche lang das WMF- Haus zu beziehen, um dort öffentlich zu arbeiten. Die Räume der Botschaft wurden hierfür zu provisorischen Ateliers, Werkstätten und Büros umfunktioniert: „DROMOMANIA – Kult und Ritual der täglichen Fortbewegung“.

Fachübergreifende Zusammenhänge zwischen den ausgestellten Berufen vermochten allenfalls Besucher herzustellen. Die kamen zahlreich, gelockt von Konzerten und Diskussionen – „ein Rausch“, erinnert sich Ed van Megen, der für den Verein arbeitet, „interdisziplinäre Aktion im Hauruckverfahren. Danach gab es erst mal kein greifbares Ergebnis, nichts Ablesbares.“ Seitdem suchen etwa fünfzehn Vereinsmitglieder nach Verbindungen zwischen ihren Arbeitsgebieten. Die sind keineswegs festgelegt und wechseln nach Laune. So kommt es vor, daß der Computerspezialist plötzlich einen Verbindungsgang in der U-Bahn mit Städtenamen in phonetischer Umschrift bemalen möchte und von seinen Botschaftsgenossen dabei unterstützt wird.

Die Frage nach den Berufen löst Kopfschütteln aus. „Hier ist man Botschafter“, wehrt Philip Scheffner ab. Und deren Aufgabenbereich ist hier eben nicht festgeschrieben, er ergibt sich jeweils daraus, was zu tun ansteht. Sei es, zu putzen oder ein Plakat zu entwerfen, die eine Ausstellung zu konzipieren oder mit eigenen Werken zu bestücken. Die Arbeit am jeweiligen Projekt steht zwar meist in Verbindung mit dem, womit die Künstler sich beschäftigten, bevor sie zur „Botschaft“ stießen – Filmwissenschaft, Bildende Kunst, Computergrafik, Handwerk – zwingende Voraussetzung ist dies jedoch nicht.

„Wir sind eben kein alternativer Kunstverein, keine Galerie, keine Kulturmanager“, meint Philip bestimmt. „Wir wollen uns nicht auf Kunst festnageln lassen und auch mal Sachen machen, die nichts mit Kunst zu tun haben. Man kann es hinterher immer noch dazu erklären.“ Ob sie dabei Grenzen setzen, will ich wisssen „Ja. Wir beschäftigen uns mit dem, was uns interessiert.“

Interessiert waren sie vor einem Jahr zunächst an eigenem Raum. Das WMF-Haus hat wieder einen Besitzer, steht aber leer – und auf Betreiben der Botschafter mittlerweile unter Denkmalschutz. Sie selbst zogen eine Ecke weiter, in die Kronenstraße 3, die bis 1989 die Adresse eines noblen Friseurs war. Der Herrensalon im hinteren Teil des Etablissements ist leergeräumt und dient als Ausstellungsraum, die Frisierstube für Damen ist nun ein improvisiertes Kino. Nebenan eine übervolle Bar, fürs Publikum geöffnet von Freitag bis Sonntag. Dann herrscht Partyatmosphäre; das endgültige Ende der Präsentation von Kunst im sterilen Raum. Der „Frisör der Botschaft“ ist in eingeweihten Kreisen mindestens ebenso angesagt wie das Tacheles.

Eine Wendeltreppe führt aus dem Parterre in den Keller zu den ehemaligen Massageräumen. Rechts stinkt es nach Verdünnung und Farbe vom Siebdruck, links steht eine Werkbank für Metall und Holz. Dazu gehören, drei Stockwerke höher, Ateliers und Büro, wahlweise auch als Konferenz- und Seminarraum nutzbar. In einer Ecke, auf blauem Samtkissen und Sockel: der Würfelzucker, von Botschaftern entworfen und hergestellt. Sie haben Rüben gegraben und gekocht, Energiegehalt und chemische Zusammensetzung analysiert, Rohmasse zu Granulat zerrieben und aufgehäuft, die Form ausgetüftelt, die Maße des Würfels berechnet, ihn gar geschliffen. Das zeigen jedenfalls Fotografien. Wer nicht weiß, daß die „Zuckerrüben“ Sellerie sind, der Zuckerwürfel aus der Schachtel und die Fotos gestellt, wird es nicht erkennen. Suggestion genügt. Die Zucker-Bilder sind Teil der jüngsten Projektreihe, genannt „Richtig '92“: Die Wirklichkeit verschwindet: „Wenn es eindeutige Realität ebensowenig gibt wie eine unumstößliche Wahrheit, muß man sich ihr eben auf unterschiedliche Weise annähern“, erklärt Merle Kröger, auf deren Idee „Richtig '92“ zurückgeht. Warum nicht Fiktion für bare Münze nehmen und dafür die sogenannte Realität ein bißchen durcheinanderwirbeln?

Hinter nahezu jedem der unzähligen Einzelprojekte stehen Partner, die Zusammenarbeit mit anderen Initiativen floriert. Botschaft e.V. hat das sogenannte „Kulturplenum Mitte“ mitinitiiert, in dem sich die diversen Projekte im Zentrum der Stadt regelmäßig treffen. Dieses Forum war anfangs die einzige Möglichkeit für die Gruppen, voneinander Notiz zu nehmen und gemeinsame Veranstaltungen zu organisieren. Während der Arbeit im Plenum entspann sich enge Zusammenarbeit mit dem zuständigen Kulturamt, und seitdem funktioniert auch der Informationsfluß zwischen den Initiativen. Die eigenen Mittel sind begrenzt, so ist man auf Kooperation angewiesen – und die Not ist Tugend. Auch bei Botschaft e.V.

„Wir begeistern Leute“, meint Philip Scheffner, „und wenn sie begeistert sind, machen sie auch bei uns mit. Notfalls auch umsonst.“ Friederike Freier

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