: Der Jude kann nicht mehr in Deutschland wohnen!
„Das Gute an den letzten Vorgängen“/Unbekannte Göring-Rede über die Konsequenzen der Pogromnacht ■ Dokumentation
Meine Herren! Als ich die Judenfrage in die Hand nahm, weil sie so unerhört stark in das Gesamtwirtschaftsgebilde hinein gehört, da hat der Führer dann hierzu sein besonderes Einverständnis dokumentiert. Von einer Veröffentlichung oder besonderen Betonung der Tatsache, daß hier eine Zusammenfassung der Judenfrage stattfindet, habe ich abgesehen, vor allen Dingen deshalb, weil der Führer nicht wünschte, daß ich in meiner Stellung dem Ausland und auch dem Inland gegenüber hier zu sehr belastet würde.
Darüber hinaus sind nun gewisse Klärungen über die weitere Behandlung der Judenfrage festgelegt und festgestellt worden. Ich möchte hierzu nun ganz eindeutig einmal folgendes feststellen. Meine Herren – und da wende ich mich besonders an meine Parteigenossen –, es handelt sich hier für mich und für uns alle gar nicht darum, dem Juden mehr oder weniger etwas Gutes oder Nichtgutes anzutun, den Juden mehr oder weniger zu schützen. Der Jude ist mir hierbei völlig gleichgültig. Nicht gleichgültig ist mir hierbei das Ansehen der Partei im Volke und das Ansehen des Volkes dem gesamten Ausland gegenüber.
Der Führer sprach auch seine Mißbilligung darüber aus, daß am Sonntag in der Presse die Verfügung des Polizeipräsidenten von Berlin stand über die Zusammenfassung der Juden in gewissen Vierteln, die Aussprechung des Judenbanns etc., und er sprach seinen ausdrücklichen Willen dahingehend aus, daß vorläufig überhaupt nur das unerläßlich Notwendigste zu veröffentlichen ist, also das, was unbedingt veröffentlicht werden muß, damit der Vorgang reibungslos ablaufen kann, und alle anderen Dinge in der Judenfrage möglichst auf dem Dienstwege gehen zu lassen, damit hier in der Auslandshetze allmählich ein gewisser Abklang einsetzen soll.
Ferner hat der Führer folgenden Grundsatz aufgestellt, den ich bitte, auch festzuhalten: An der Spitze aller unserer Überlegungen und Maßnahmen steht der Sinn, die Juden so rasch und so effektiv wie möglich ins Ausland abzuschieben, die Auswanderung mit allem Nachdruck zu forcieren, und hierbei all das wegzunehmen, was die Auswanderung hindert. Wenn der Jude auswandern kann, und wir müssen hier gewisse Zusagen geben in der Richtung, daß wir, falls der Betreffende sich in dem Lande nicht bewährt, ihn nach Jahren wieder zurücknehmen, dann würde ich auch großzügig Ja sagen; denn ich halte es für ausgeschlossen, daß ein Jude wieder zurückkommt, der einmal hier raus ist, besonders nach den letzten Vorgängen. Und das ist ja schließlich die gute Seite der letzten Vorgänge, daß die ganze Auswanderungsfrage akut geworden ist, daß die Völker sehen: Der Jude kann nicht in Deutschland wohnen.
Meine Herren! Diese Auswanderung ist das schwierigste Kapitel, das es überhaupt gibt, und es hat wirklich große Überlegungen gekostet, um hier einen Weg zu finden. Ich habe hier sowohl mit Regierungen wie mit Juden weiter verhandelt. Diese Verhandlungen können aber nur in einer Hand liegen, sonst schwächen wir sie ab. Es gibt nur einen Weg, habe ich (den Vertretern jüdischer Organisationen, d.Red.) gesagt, daß eure Rassegenossen unter Zuhilfenahme der für euch eingestellten Regierungen – in der Hauptsache kommen hier Amerika und England in Frage – jene Anleihe aufbringen in Devisen, die es mir ermöglicht, den Juden dieses Geld für die Auswanderung zu geben, und zwar, wie ich es verwende, ist meine Sache, das heißt, daß ich pro reichen Juden voraus ungefähr vier arme Juden schicken werde; diese Anleihe muß sehr umfangreich sein. Dieser Plan hat dem Führer außerordentlich zugesagt. Er setzt natürlich voraus, daß der ganze Ablauf jetzt in Ordnung geschieht, daß keine Störungen dieses Ablaufs wirtschaftlich vorkommen.
Hier komme ich gleich auf den zweiten wesentlichen Punkt. Meine Herren, wir müssen so verfahren, daß der Jude immer noch etwas zu verlieren hat. Ist das nicht mehr der Fall, dann, meine Herren, wird es sehr schwer sein, gewisse Sachen zu verhüten. Ich glaube, ich brauche nicht deutlicher zu werden. Wenn sich ein Verrückter sowieso mal erschießen will, dann sagt er sich vielleicht: ich nehme vorher lieber noch den mir sehr unbequemen Herrn Gauleiter mit. Das wäre noch nicht einmal das Allergefährlichste, aber es könnte noch weitergehen. Es war ja das Gute an dieser Aktion, daß der Jude gesehen hat: gewiß, es ist vieles ungesetzlich gemacht worden, aber er hat es an Leib und Leben sehr schwer zu spüren bekommen. Er weiß also, wenn noch irgendein Akt erfolgt, daß es dann fürchterlich wird. Die Furcht muß bei ihm sitzen bleiben, aber sie kann nur so lange sitzen bleiben, solange er noch etwas zu verlieren hat.
Der Führer hat weiter entschieden, daß keinerlei Kenntlichmachung der Juden erfolgt, und zwar aus folgenden Gründen: 1.weil keiner von uns in der Lage wäre, dauernde Exzesse zu verhindern; denn wenn irgendeiner über den Durst getrunken hat und auf der Straße geht oder an der Laterne steht und sieht plötzlich zufällig einen Juden, dann wird er den über den Leisten knallen; 2.weil es, wie der Führer sagt, sicherlich gewisse Gaue gibt, in denen ein solcher gekennzeichneter Jude nichts mehr zu essen bekommen würde und überhaupt nichts mehr kaufen könnte.
Es wäre mir auch scheußlich, wenn ich in einem Lokal essen müßte, wo an meinem Nebentisch ein Jude sitzt. Die ganze Sache wird sich ja auch eines Tages leichter lösen lassen, wenn wir die notwendige Voraussetzung dafür geschaffen haben, nämlich wenn wir die Juden irgendwie in gewissen Straßenzügen und Vierteln konzentriert haben. Das geht aber nicht einfach durch eine Verfügung des Herrn Polizeipräsidenten, denn um das durchzuführen, sind sehr viele Maßnahmen wirtschaftlicher Art notwendig.
Nun kommt die weit schwierigere Frage, ob der Jude in Deutschland arbeiten darf. Sie können mir nun sagen: Nein. Gut, das ist auch ein Standpunkt. Lassen wir die Juden aber nicht arbeiten, dann, meine Herren, muß ich die Versorgung dieser Juden auf Ihren Beutel legen, dann muß alles mit herangezogen werden, und das würde bedeuten, daß noch erhebliche weitere Finanzkürzungen für andere Aufgaben, die Sie haben, erfolgen müssen. Sie sehen also selbst, daß das nicht geht.
Wie sollen wir nun hier vorgehen? Ein besonderer Schlaumeier hat vorgeschlagen, sämtliche Juden zu verhaften und dann Arbeitsorganisationen zusammenzustellen. Meine Herren, es wird Ihnen doch klar sein, daß Sie heute nicht alle Juden verhaften können, denn dazu müßten wir ganz andere Räumlichkeiten zur Verfügung haben. Es darf sich auch nicht wiederholen, daß die Polizei stundenlang herumsausen muß, um sämtliche kleinen Cohns und Rebekkchens wieder zu ihren Eltern zurückzubringen. Auch hier muß eine gewisse Organisation eintreten.
Sie müssen auch verstehen, daß wir eine gewisse Fürsorge für die Juden eintreten lassen müssen. Sie können nicht das Ministerium anprangern und als judenfreundlich bezeichnen, das so etwas macht. Das muß es ja tun. Es darf doch in Deutschland nicht passieren, daß die Juden einfach verhungern, denn das fällt uns ja zur Last; ein Mensch, der gar nichts mehr kriegt, wird wirklich zum Tier und handelt wie ein Tier. Also es muß hier Ordnung geschaffen werden. Sie sehen immer wieder, daß die Judenfrage eine organische Lösung erfordert, die nur geschaffen werden kann, wenn alle am gleichen Strang ziehen. Einer wirklichen Lösung können wir die ganze Frage nur dann entgegenbringen, wenn uns als Ziel vor Augen steht: Der Jude muß so rasch wie möglich hinaus.
Ich sprach von der Beschäftigung des Juden. Da gibt es nun verschiedene Möglichkeiten. Es ist ohne weiteres denkbar, daß die Juden, besonders diejenigen, die keine Stellung haben und gesund sind und arbeiten können, die kein Vermögen besitzen, von dessen Rente sie leben können, in gewissen Arbeiterformationen zusammengefaßt werden. Das brauchen noch lange keine Konzentrationslager zu sein. Hier wird man die Juden verpflegen, wird ihnen ein kleines Taschengeld geben, wird sie in gewissen Lagern halten, wird ihnen gewisse Erleichterungen geben. Sie werden etwa eingesetzt, um Ziegel zu bearbeiten oder am Kanal zu graben. Es kommt noch die Sache mit dem Anzünden, mit dem Verbrennen, sogenannter Mordbrand. Meine Herren, hier ist auch sehr schwer, hier ist am schwersten, etwas zu verfolgen. Denn hier, glaube ich, hat niemand, der angesteckt hat – also bei den Synagogen ist es selbstverständlich, aber auch bei Privathäusern wohl – an den eigenen Nutzen gedacht, sondern hier ist es immer geschehen aus einer Rage heraus, aus einem Rachegefühl gegen das Judentum, aus einer Verbitterung über die Juden, aus einem Haß gegen die Juden usw., wenn auch manche sehr unschöne Sachen dabei vorgekommen sind. Hier muß man bedenken: in dem Moment, wo man auf die Juden losgelassen hat, da hat sich natürlich, das ist ja logisch, der ganze infernalische Haß gegen den Juden Geltung verschafft.
Entscheidend ist das Motiv. Wollte einer den Juden treffen, so ist das etwas anderes. War ihm aber der Jude ganz egal, wollte er nur einen Menschen töten oder erschlagen oder quälen, der hat mit uns nichts zu tun. Zum Beispiel die Sittlichkeitsverbrecher, darüber verliere ich kein Wort, werden alle gepackt. Denn das hat mit Haß nichts zu tun, wenn sich einer über die Rebekka wirft, sondern das ist hier eben ganz gemeine Vergewaltigung und ganz gemeines Gefühl. Sind sie in der Partei gewesen, fliegen sie in hohem Bogen sowieso raus; denn das ist ja gegen unsere Grundsätze.
Ich komme zum schwierigsten Kapitel, die Todesfolge. Meine Herren, es ist nicht schön, und man braucht starke Nerven, und wenn Sie den Bericht durchlesen, dann stellen Sie ein bißchen Cognak neben sich. Also ich nehme den Fall, vorausgesetzt, daß er so war, über den sich Herr Telschow zunächst mit Recht so erregt hat:
Hier geht ein Befehl durch, kommt zunächst von München, allgemeine Sachen zu machen; geht dann, was weiß ich, ich kenne die Befehlswege nicht so genau, bei der SA ein, kurzum, kommt schließlich zu einem kleinen Telephonbeauftragten und landet beim Sturm bei der untersten Dienststelle. Der Vorletzte hat noch gesagt: Die jüdischen Geschäfte sind zu vernichten. Der Letzte hat schon durchgegeben: Die Juden sind zu vernichten. Nun bekommen hier diese SA-Leute den Befehl: Die Juden sind zu vernichten. Darauf haben sie sich unterhalten – also unter der Voraussetzung, daß es so gewesen ist – und haben gesagt: Ja, das ist eigentlich schlimm und scheußlich. Das kann man doch eigentlich nicht, die Juden so totzuschießen. Da haben andere gesagt: Na, es sind doch große Schweine. – Ja doch. – Aber es ist doch befohlen worden; die anderen tun es jetzt wahrscheinlich auch. Es ist doch durchgegeben worden. Es werden überall Juden vernichtet. Wir können uns doch nicht dem Befehl widersetzen. Sie gehen nun her, gehen also zum nächsten Juden rein und schießen den tot, seine Frau tot, und ich glaube, noch einen. Dann wird ihnen das doch zu eklig. Sie können das nicht, ihre Nerven versagen auch. Sie gehen wieder zurück und sagen: Das können wir nicht.
Meine Herren, vorausgesetzt, daß es so war, kann ich unmöglich diese Leute noch an die Wand stellen. Die haben ja geglaubt, einen Befehl auszuführen. Bei allen, die totgeschlagen, gequält haben usw., lasse ich jetzt zunächst einmal die Vorstrafen feststellen. Denn aus dieser Liste der Vorstrafen werden wir sehr schnell den Schlüssel finden, ob hier einer aus Haß gegen das Judentum gehandelt hat oder aus der Anlage seiner charakterlichen Minderwertigkeit.
Eines, meine Herren, dürfen Sie mir glauben: es war mir schon paarmal wirklich bis hierher. Ich wollte gern, daß ich mit der ganzen Judenfrage nichts zu tun habe. Aber dann weiß ich natürlich nicht, wie ich meinen Vierjahresplan, also die deutsche Wirtschaft, in Ordnung halten soll. Aber wenn Sie mir nicht helfen, sondern wenn Sie im Gegenteil mir Schwierigkeiten machen, dann kann ich das nicht. Denn eines müssen Sie verstehen: Ich will meinen Namen sauber halten, auch für später, und ich kann mich nicht an Dingen beteiligen, die ich nicht decken kann.
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