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■ Dokumentation eines Briefes von Karl-Heinz DellwoKeine Rückkehr zum bewaffneten Kampf

Die Bundesjustizministerin hat Bernd Rößner „Strafausstand“ gewährt. Das ist der Ersatz für eine Entscheidung des Bundespräsidenten, die trotz fester Zusage nicht gekommen ist. Statt einer politischen Entscheidung liegt nun eine vor, die die Notwendigkeit einer politischen Antwort des Staates auf die Gefangenenfrage, aber auch auf die RAF, unterschleichen will. An der staatlichen Haltung uns gegenüber hat sich damit nichts geändert. Diese Entscheidung macht politisch nichts auf.

Im Januar 1992 war der damalige Bundesjustizminister Kinkel mit der Erklärung an die Öffentlichkeit getreten, von seiten des Staates politische Bewegung in das Verhältnis zu uns reinzubringen. Eine 22jährige gesellschaftsrelevante Konfrontation hat ganz einfach auch ihre faktische Evidenz geschaffen, der nur noch Dummköpfe ihren politischen Gehalt bestreiten können. Das war durchaus neu, gehörte es doch zur politischen Schizophrenie dieser Jahre, das Politische dieser Situation im Interesse ideologisch-propagandistischer Positionen wegzubeten. Es kam allerdings schon Jahre zu spät.

Wir hatten 1989 in unserem damaligen Hungerstreik um Zusammenlegung bereits versucht, die politisch und auch militärisch festgefressene Situation zu öffnen und eine neue Entwicklung zu ermöglichen. Die RAF hatte, wie ihr nicht- militärisches Verhalten bewies, diesen Versuch mitgetragen. Vom Staat allerdings war das nur als unsere Schwäche ausgelegt worden, wieder einmal lehnten sie sich zurück, wieder einmal sahen sie sich kurz vor dem großen Sieg. [...] Das Ergebnis war die Fortsetzung der militärischen Konfrontation.

Kinkel dann am Jahresanfang, „mit den Sicherheitsbehörden abgestimmt“, schien endlich ein Anzeichen dafür zu sein, daß auch der Staat sich der politischen Realität stellen will. Allerdings kam kurz nach dieser „Initiative“ von den gleichen „Sicherheitsbehörden“ die erste Rücknahme: die BAW zog ihren selbstproduzierten „Kronzeugen“ Nonne aus der Tasche und versuchte, jedes politische Vorgehen zu durchkreuzen.

Auch ansonsten blieb die „Kinkel-Initiative“ ihren Realitätsbeweis schuldig. [...]

Im April kam dann die Erklärung der RAF, Angriffsoperationen auszusetzen zugunsten des Einleitens eines politischen Prozesses. Die Gefangenen haben das durch die Erklärung von Irmgard Möller bekräftigt. Diesen Schritt der RAF muß man eindeutig als Versuch sehen, aus der Illegalität heraus das neu in Gang zu setzen, womit die Gefangenen 1989 gegen die dumpfe Haltung der Macht gescheitert waren. Mit weiteren Erklärungen hat die RAF inzwischen ihre Entscheidung bekräftigt und vertieft. Damit war auch die Frage des bewaffneten Kampfes offen gemacht und eine Situation hergestellt, wie es sie zuvor noch nie gegeben hat.

Die unmittelbaren öffentlichen Reaktionen darauf [...] waren teilweise von der Erkenntnis getragen, daß es auf diesen qualitativen Schritt der RAF eine entsprechende Antwort geben muß. Gekommen ist sie nicht. Statt dessen wurde nur taktiert. Während von Stahl z.B. öffentlich erklärte, die Gefangenen müßten nicht abschwören oder ihre Geschichte denunzieren, versuchte der zuständige OLG-Senat, Günter Sonnenberg im Anhörungsverfahren genau dazu zu zwingen. Gegen die sofortige Freilassung von Bernd Rößner wurden immer neue Schwierigkeiten geschaffen. Wurde der RAF-Schritt im April in den öffentlichen Stellungnahmen noch begrüßt, erkärte die neue Bundesjustizministerin unter Ausschluß der Öffentlichkeit im August den Anwälten: „Es wird keine politische Entscheidung geben“, „keine zl“, und: „Machen Sie den Gefangenen keine Hoffnungen“. Verbunden war das mit dem Verlangen, daß das nicht öffentlich wird. Eine vollständige Absage, aber ohne politische Kosten – wie immer die Strategie des maximalen Profits! Darüber hinaus zieht die BAW nicht nur ihre neuen Verfahren durch, die ein neues aggressives Moment in die Situation bringen; sondern sie führt sie auch mit der öffentlich dargelegten Absicht, die Freilassung von bestimmten Gefangenen auf mindestens die nächsten 10 Jahre zu verhindern. Als könnte das aufgehen!

Wir hatten keine irrationalen oder unerfüllbaren Anforderungen gesetzt. Uns war klar, daß es ein längerer Prozeß ist, an dessen Ende die Freiheit der politischen Gefangenen steht und eine Lösung für darüber hinausgehende Fragen. In der Erklärung von Irmgard Möller stand, daß niemand von uns davon ausgeht, daß die Freiheit aller Gefangenen von heute auf morgen umgesetzt werden kann. Aber es muß für alle und alles eine Perspektive in einem überschaubaren Zeitraum geschaffen werden.

Sofort möglich für den Apparat und die Politik war die Freiheit aller haftunfähigen Gefangenen, das Einleiten bei denen, die über 15 Jahre inhaftiert sind, und jener, die schon jetzt zwei Drittel ihrer Haft hinter sich haben. Für die anderen als Übergangslösung zu ihrer Freiheit die Zusammenlegung. Zu den notwendigen Schritten von Staatsseite gehört auch die Mehrfachanrechnung der Isolationshaft. Nichts ist gelaufen.

Trotzdem hatten wir noch auf die angekündigte Entscheidung zu Bernd Rößner gewartet, um danach für alle, die über 15 Jahre in Haft sind, Entlassungsanträge zu stellen. Das sind in Lübeck: Irmgard Möller, Hanna Krabbe, Christine Kuby; hier in Celle Lutz Taufer, Knut Folkerts und ich. In Bochum betrifft es Stefan Wisniewski. Verbunden damit war die Bereitschaft zu den Anhörungen, und es ist auch klar, auf was wir uns dort einlassen und auf was nicht: keiner von uns wird nach seiner Freilassung zum bewaffneten Kampf zurückkehren. Wir hatten das im April bereits gesagt: Aus den tiefgreifenden globalen und innergesellschaftlichen Umbrüchen ist eine einfache Fortsetzung der Politik und Praxis der 70er und 80er Jahre unmöglich. Der Schritt der RAF war überfällig und hat die Suche nach der Neubestimmung systemoppositioneller Politik erleichtert.

Keiner von uns aber wird in diesen Anhörungsverfahren eine Auseinandersetzung über unsere Geschichte, unser Selbstverständnis oder das, was ein emanzipatorischer Prozeß – individuell wie auch gesellschaftlich – in der Zukunft sein kann, führen. Diese Auseinandersetzung ist öffentlich, und wir suchen darin eine neue Grundlage für die Zukunft. Wir werden uns mit diesen Gesellschaftsverhältnissen nicht versöhnen. Wir wollen auf anderer Ebene gegen die kapitalistischen Verhältnisse für deren fundamentale Umwälzung weiterkämpfen. Die Lebensverhältnisse hier und im Trikont lassen für uns nichts anderes zu.

An der Entlassungsfrage Bernd Rößner hätte sich eine politische Zäsur auf der Staatsseite artikulieren können. Nach dem Inhalt der nun getroffenen Entscheidung können wir nur noch feststellen, daß sie diese politische Bedeutung nicht mehr hat. Denn die jetzige Entscheidung besagt, daß die weitere Behandlung aller Fragen nicht nur der Form, sondern auch dem Inhalt nach an die Justiz abgegeben worden ist. Jene wird aus ihrer ideologischen und normativen Fixierung heraus erst recht nicht die Entscheidungen treffen, zu denen die Politik offensichtlich nicht willens ist.

Natürlich soll jede/r raus, die/ der raus kann. Irmgard Möller sitzt im 21. Haftjahr. 17 Jahre nach dem völkerrechtswidrigen Vietnamkrieg vollstreckt die Bundesregierung immer noch die Rache an denen, die auf seiten dieses vom imperialistischen Genozid bedrohten Volkes gegen diesen Krieg gekämpft haben. Das steht symbolhaft für die Zustände hier: Die vom System gehaltene Vergangenheit wütet in ihrer Logik und in ihrem Sinngehalt immer weiter fort. Mit nichts gibt es einen Bruch. So kann alles auch immer neu wiederkommen: Dafür stehen die Neo-Nazis, dafür steht auch der Namensgeber der „Kinkel-Initiative“, der, kaum zum Außenminister geworden, seinen Vietnamkrieg in Kurdistan mitführt. So setzt sich auch im Innern die Logik ihrer Staatsschutzdemokratie fort. So können wir auch nur feststellen: Wie jedes Mal in der Vergangenheit, so ist auch dieser Versuch von uns, eine andere Entwicklung einzuleiten, gemeinsam von Politik und Apparat substantiell aufgefressen worden.

Wir werden das mit den Anhörungsverfahren weitermachen, aber wir sagen auch: Es gibt grundsätzlich gegenüber den Gefangenen und der RAF von seiten des Staates keine offene politische Situation mehr. Sie hängen immer noch der Absicht nach, uns als Gruppe politisch zu zerstören.

Wir sagen aber auch: Auch wenn alles eine Neubestimmung erfahren muß – die Geschichte im bewaffneten Kampf ist Teil unseres Lebens. Er selber ist Teil des weltweiten linken Aufbruchs ab Mitte der 60er Jahre. Es wird niemandem gelingen, diese Geschichte auszulöschen und unseren Zusammenhang zu sprengen. Unsere Entscheidung, daß jetzt die Entwicklung eines politischen Prozesses auf neuer Grundlage für uns Priorität hat, ist eine kollektive, und so muß auch damit umgegangen werden. Alles andere wird nicht aufgehen. Karl-Heinz Dellwo, Celle

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