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Wem Ehre gebührt, war hart umstritten

Am heutigen Montag werden Michael Gorbatschow, Ronald Reagan und Helmut Kohl Berliner Ehrenbürger/ Vor der Ehrung stand die Bereinigung der Liste der Ehrenbürger  ■ Von Kordula Doerfler

Berlin. Von heute an dürfen Ronald Reagan, Michail Gorbatschow und Helmut Kohl umsonst die öffentlichen Verkehrsmittel der Stadt Berlin benutzen, und sie haben Anspruch auf ein Ehrengrab in Berlin.

Am symbolträchtigen Tag der Deutschen, am 9. November, bekommen alle drei in einem Festakt mit viel Prominenz im Reichstag die Ehrenbürgerwürde der Stadt Berlin verliehen. Nach den Richtlinien des Senats können Persönlichkeiten mit der Ehrenbürgerschaft ausgezeichnet werden, „die sich um Berlin in hervorragender Weise verdient gemacht haben“. Alle drei, der ehemalige US-Präsident, der ehemalige Staats- und Parteichef der Sowjetunion und der Bundeskanzler, haben sich, so die Meinung der Koalitionspartner, in besonderer Weise um die Wiederherstellung der deutschen Einheit und des geeinten Berlins bemüht.

Ronald Reagan, der aus gesundheitlichen Gründen nicht an der Feier teilnehmen wird, tat sich schon während der 750-Jahr-Feier im Juni 1987 hervor. Unter frenetischem Beifall forderte der mächtigste Mann der westlichen Hemisphäre in der Nähe des Brandenburger Tors seinen östlichen Gegenspieler auf: „Mister Gorbatschow, tear down this wall!“. Zwei Jahre später sollte sein Herzenswunsch in Erfüllung gehen, das einstmals von ihm als „Reich des Bösen“ gegeißelte Imperium zerbrach, der Eiserne Vorhang wurde durchlässig.

Auch der Reformer aus dem Osten ging mit einem „historischen“ Satz in Berlin in die Annalen ein: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“, gab er der SED-Führung mit auf den Weg, als schon Tausende von DDR-Bürgern über Ungarn in den Westen flüchteten. Bei seinem letzten Staatsbesuch in der DDR, im Oktober 1989, sagte der Staats- und Parteichef diese Worte auch einem Reporter ins Mikrofon. Wenige Wochen später, im Januar 1990, bei Kohls Besuch, gab er sein Placet zur deutschen Vereinigung.

Der Kanzler aller Deutschen schließlich kann die deutsche Einheit als Höhepunkt seiner politischen Karriere verbuchen. In Berlin fielen ihm allerdings nicht nur Sympathien zu. Am 10. November 1989 wurde er abends vor dem Schöneberger Rathaus, beim Anstimmen der Nationalhymne, von einer riesigen Menschenmenge ausgebuht und ausgepfiffen, während der damalige Regierende Bürgermeister von Berlin, Walter Momper, großen Beifall erhielt. Die Schmach dieser Situation stand dem Kanzler damals ins Gesicht geschrieben.

Vorausgegangen ist der heutigen Feier ein langer Streit sowohl um die Personen, die heute geehrt werden, als auch um die Ehrenbürgerliste insgesamt. Die Koalitionspartner CDU und SPD konnten sich zwar rasch auf Helmut Kohl einigen, der die Auszeichnung schon im vergangenen Jahr verliehen bekommen sollte, Reagan und Gorbatschow waren aber bis zuletzt umstritten. Die SPD präsentierte letztes Jahr Gorbatschow als Kandidaten, die CDU konterte prompt mit Reagan. Offiziell gefragt wurden beide erst, nachdem der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen im Sommer dieses Jahres verkündet hatte, daß man beide zu Olympia-Botschaftern für Berlin machen wolle – gewissermaßen als Bonbon diente man dann beiden gleich noch die Ehrenbürgerwürde an.

Das Einheits-Triumvirat nimmt jetzt die Plätze 101 bis 104 der Berliner Ehrenbürgerliste ein, um deren „Bereinigung“ es seit der Einheit lange Querelen gegeben hatte, ging es doch, ähnlich wie bei Straßennamen, um den Umgang mit dem „historischen Erbe“. Seit 1813 wird die Ehrenbürgerwürde in Berlin vergeben, und sie ist eine vergleichsweise rare Auszeichnung – bis zur Zeit des Nationalsozialismus wurden 63 Persönlichkeiten ausgezeichnet. Die letzte Gesamtberliner Stadtverordnetenversammlung ließ im Jahr 1948 die Plätze 59 bis 62 streichen: Hitler, Göring, Goebbels und Frick. Nach der Teilung der Stadt hatte der Ostberliner Magistrat eine eigene Liste geführt, auf der im Westen ungeliebte Persönlichkeiten wie der erste russische Stadtkommandant Nikolai Bersarin und andere sowjetische Generäle standen, die für die Befreiung Berlins ausgezeichnet worden waren. Sie wurden jetzt von der Liste gestrichen, während preußische Generäle wie Hellmuth von Moltke und Friedrich von Wrangel oder der Generalfeldmarschall und Reichspräsident Paul von Hindenburg sie weiterhin schmücken.

Aus dem Osten „gerettet“ wurde die Schriftstellerin Anna Seghers, die neben Nelly Sachs, Louise Schröder (ehemalige Oberbürgermeisterin von Berlin) und der liberalen Frauenrechtlerin Marie Elisabeth Lüders die einzigen Frauen auf der Liste sind. Übernommen ebenfalls die Raumfahrer Siegmund Jähn und Waleri Bykowski, der Verleger Wieland Herzfelde und Heinrich Zille. Auch die Ostberliner Stadtverordnetenversammlung der Nachwendezeit hatte bereits begonnen, in der Liste aufzuräumen, und sich gestritten, ob Walter Ulbricht oder Wilhelm Pieck noch Ehre zustünde. Ehre nur, wem Ehre gebührt. Sie sind von der illustren Liste verschwunden. Friedlich vereint folgen Kohl, Reagan und Gorbatschow dem russischen Zaren Nikolaus I., dem Eisernen Kanzler Otto von Bismarck, dem amerikanischen General Lucius D. Clay, Konrad Adenauer und Willy Brandt. Ihre unmittelbaren Vorgänger waren Helmut Schmidt (Platz 100) und Richard von Weizsäcker (Platz 101), und ein Kandidat für Platz 105 ist bereits im Gespräch: Die Berliner Liberalen schlugen Ex-Außenminister Hans- Dietrich Genscher vor.

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