: Plutonium auf hoher See
Japaner rammen Greenpeace-Schiff/Proteste von Umweltschützern in Cherbourg rüde unterdrückt/ Militär nahm das Heft in die Hand ■ Aus Paris Bettina Kaps
Wie zum Krieg gerüstet verließen 15 Laster mit gepanzerten Containern Samstag früh um vier Uhr die atomare Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) in La Hague. Zwei Panzerfahrzeuge führten den gespenstischen Konvoi an, 38 weitere Schutzfahrzeuge eskortierten die Schwerlader durch den nächtlichen Nebel. Die 1,5 Tonnen japanisches Plutoniumoxid, verpackt in den Containern, legten die 20 Kilometer zum Hafen Cherbourg im Schrittempo zurück. Mindestens 2.000 Gendarmen und Bereitschaftspolizisten hatten die Strecke völlig abgesperrt. 400 Umweltschützer, die eine Straßenkreuzung blockierten, wurden von der Polizei gewaltsam fortgezerrt.
17 Stunden später konnte der japanische Frachter Akatsuki Maru den Hafen von Cherbourg mit seiner tödlichen Fracht an Bord verlassen. Die französischen Sicherheitskräfte hatten auch im Hafen rüde jeden Protest von Umweltschützern zu verhindern versucht. Marinesoldaten hatten das Kommando über das zivile Plutonium übernommen und präventiv das Greenpeace-Schiff Moby Dick gestürmt. Nach Angaben des Atomexperten von Greenpeace, Jean- Luc Thierry, traten die Soldaten dabei Fenster und Türen des Schiffes ein. Der Besatzung seien Waffen gegen den Kopf gehalten worden. Zwei Leute von Greenpeace auf dem Schiff wurden leicht verletzt und mußten ins Militärkrankenhaus gebracht werden. Die zehn Besatzungsmitglieder und sieben Journalisten an Bord wurden zeitweilig festgenommen.
Kaum in die internationalen Gewässer vor der französischen Küste gelangt, übernahm ein japanischer Hubschrauberträger mit bewaffneter Mannschaft die Eskorte für das Plutoniumschiff. Die Japaner gingen noch grobschlächtiger gegen die Proteste vor. Das Begleitschiff Shikishima versuchte zunächst, dem Greenpeace-Schiff Solo den Weg abzuschneiden. Schließlich rammten die Japaner Sonntag früh den Hochseeschlepper Solo, immerhin das größte Schiff der Greenpeace -Flotte. Die Solo war einer Blockade der französischen Marine in Cherbourg entkommen und dem Plutoniumfrachter bis dahin mit einer Meile Abstand gefolgt.
Die Umweltschützer sind nach eigenen Angaben entschlossen, den Plutoniumfrachter weiter bis in den Heimathafen Yokohama zu begleiten. Die Verfolgung werde fortgesetzt. Die Agenturen berichteten gleichzeitig, daß US-amerikanische Kriegsschiffe und Flugzeuge hinzukommen sollen, um Terroristen abzuschrecken.
In Cherbourg kritisierte Grünen-Sprecher Didier Anger, der Militärtransport und das rüde Vorgehen der Sicherheitskräfte zeigten, „daß Demokratie und Atom nicht zusammenpassen“. Eine Demonstrantin beschuldigte die französische Regierung, sie decke „ein potentielles atomares Verbrechen“.
Um die Bevölkerung zu beruhigen, hatte der französische Industrieminister Dominique Strauß- Kahn in der vergangenen Woche „völlige Transparenz“ versprochen. Die Cogema, Betreiberfirma der WAA, filmte den gesamten Transport und übertrug ihn live in zwei Pressezentren in Cherbourg und in Paris auf Großleinwänden. Die unkommentierten Bilder zeigten allerdings nur, wie äußerlich völlig banale Container auf Lkw gehoben und wieder abgeladen wurden. Das französische Fernsehen sprach von den „irrationalen Ängsten“ der Bevölkerung und lobte die große Erfahrung der Cogema beim Transport von radioaktivem Material. Die meisten Einwohner von Cherbourg blieben unbeteiligt oder ließen die Aktion resigniert über sich ergehen: Da die WAA wichtigster Arbeitgeber der Region ist, haben sie sich damit abgefunden, „atomarer Mülleimer der Welt“ zu sein.
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