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„Wo sind die Mücken hingeflossen?“

■ Personalversammlung bei den Jugendwerkstätten / Zukunft weiter ungesichert

Eine gute und eine schlechte Nachricht für die Beschäftigten der Jugendwerkstätten. Die gute: Die vorerst gesperrte Auszahlung des Weihnachtsgeldes soll Ende nächster Woche nachgeholt werden. Die schlechte: Die Zukunft der Jugendwerkstätten ist nach wie vor ungesichert. Gestern morgen drängte sich die Belegschaft des Beschäftigungsträgers in einer Betriebsversammlung, bei der die Geschäftsführung Rede und Antwort stehen sollte. Doch die entscheidenden Fragen nach der Zukunft der Recyclinghöfe und der anderen Betriebe konnten nicht geklärt werden. Die Antworten darauf liegen beim Arbeitsressort.

„Wir sind es leid, zum Streitobjekt zwischen Geschäftsführung und Arbeitssenatorin gemacht zu werden“, sagte der Betriebsrat Hannes Gerlach zu Beginn der Versammlung. Leider konnten nur wenige seine Worte hören. Er sprach ohne Mikrophon in einer zugigen Halle, ein ums andere Mal klappte die Tür, kamen oder gingen MitarbeiterInnen. Die Worte wurden von der Zugluft weggerissen. Und kaum jemand schien denen da vorne zu glauben.

Dem Geschäftsführer Christian Weber ging es nicht anders. Er wollte die Belegschaft beruhigen: „Wir haben eines erreicht, das Arbeitsamt rechnet unsere Abschlüsse für Oktober vorzeitig ab. Das Weihnachtsgeld Ende November ist gesichert!“ Doch wenn er erhofft hatte, daß nun die große Erleichterung ausbrechen würde, dann hatte er sich getäuscht: Es rührte sich keine Hand, „Bravo!“, rief einer ironisch.

Über allen Fragen vom Betriebsrat oder von Beschäftigten, über allen Antworten, die der Geschäftsführer versuchte schwebte der Pleitegeier der ungesicherten Existenz. „Was sollen wir mit dem Weihnachtsgeld, wenn dann Schicht ist“, rief eine jüngere Frau nach vorne. „Auch als größter Träger in der Stadt hängen wir am Tropf der Arbeitssenatorin“, beschrieb Weber die Situation. Und er wehrte sich gegen die Vorwürfe, die Sabine Uhl gegen die Jugendwerkstätten erhoben hatte.

„Der Geschäftsführer der Jugendwerkstätten soll sich genau überlegen, was er in der Öffentlichkeit über mich äußert“, hatte Sabine Uhl gedroht. Weber hatte am Mittwoch Land unter gemeldet, weil die Arbeitssenatorin bereits versprochene Gelder zurückhalte. Eine halbe Million Mark Sachmittel und 900.000 Mark für Stammkräfte seien nicht geflossen. Dem hielt Sabine Uhl entgegen, die Jugendwerkstätten seien an ihren Finanzproblemen selbst schuld: Sowohl bei der Arbeitssenatorin als auch beim Arbeitsamt lägen Gelder, die nur deshalb nicht ausbezahlt würden, weil die Abrechnungen der Jugendwerkstätten fehlten. Stimmt nicht, meinte jetzt Christian Weber zu den Vorwürfen. Die Verwaltung des Vereins arbeite korrekt, das Problem liege bei Sabine Uhl.

Niemand aus der Betriebsversammlung sah sich in der Lage, das Durcheinander zwischen senatorischer Behörde und Verein zu überblicken: Ratlosigkeit auf allen Gesichtern. „Könnte es sein, daß hier am 1.Januar alles vorbei ist? Dann brauchen wir gar nicht groß rumblubbern.“ Mehr als „Ich glaube nicht, daß die politischen Entscheidungen so ausgehen, aber die Chancen sind nicht rosig“, konnte auch die Vereinsvorsitzende Dagmar Lill der Belegschaft nicht bieten.

„Den Jugendwerkstätten geht es nicht anders als allen anderen Trägern“, sagte Dagmar Lill am Rande. Wie überall ginge es in der Auseinandersetzung mit dem Arbeitsressort allein um die Finanzierung der versprochenen Stellen aus dem Anleiter- und Stammkräfteprogramm: 19 Stellen insgesamt.

Je länger geredet wurde, desto mehr bröckelte die Versammlung ab. Am Ende war es nur noch die Hälfte, die über den geplanten Protestmarsch zur Arbeitssenatorin redete. Dafür gab es keine Mehrheit, stattdessen wurde so lange debattiert, bis nur noch ein kleines Häuflein Aufrechter übriggeblieben war. In der nächsten Woche soll eine Abordnung der Belegschaft gemeinsam mit dem Betriebsrat, der Geschäftsführung und der Vereinsspitze einen Termin mit Sabine Uhl arrangieren. Die Transparente konnten eingerollt werden. „Es stinkt zum Himmel“. J.G.

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