: Natal: Bürgerkrieg auf kleiner Flamme
In der südafrikanischen Provinz wurden im Oktober 180 Menschen bei Überfällen getötet/ Die Zulu-Partei Inkatha und der ANC kämpfen um die Vergrößerung ihrer Gebiete ■ Aus Durban Hans Brandt
Mpushini ist schön. Die Hütte liegt an einem steilen Berghang mit einer Aussicht über endlose grüne Hügel. In ländlichen Gebieten der Provinz Natal prägen wogende grüne Zuckerrohrplantagen das Bild. Hier, zehn Kilometer südlich der Hafenstadt Durban, kleben unzählige Häuser an den Hängen. Aus dem Tal sind kreischende Kinderstimmen zu hören. Aber das Land ist viel zu dicht besiedelt, um den Menschen noch ein Auskommen zu bieten. Sie müssen Arbeit in der Stadt suchen.
Trotzdem halten sich hier noch ländliche Traditionen. Ende Oktober versammelten sich im Hof dieser Hütte mehrere Dutzend Leute, um die Reife einer jungen Medizinfrau zu feiern. Zwei Rinder wurden geschlachtet. Es war ein großes Fest. Plötzlich tauchten mit automatischen Gewehren bewaffnete Männer auf. Sie eröffneten das Feuer. Zwanzig Menschen wurden getötet.
Zehn Tage später ist die Hütte verlassen, verriegelt. Am Zaun hängen noch die stinkenden, trocknenden Felle der beiden Rinder. Im Sand scharren ein paar Hühner. Auf einer Hecke sind zwei blutdurchtränkte Decken ausgebreitet. Eine Handvoll barfüßiger Rotznasen bestaunt den neugierigen Weißen, der die Kugellöcher in Fenstern und Wänden zählt.
„Das ist ein verfluchter Ort. Da wird niemand mehr wohnen“, sagt eine Nachbarin. In einem kleinen Geschäft, hundert Schritte den Berghang hinauf, hat sie gerade eine Schachtel Waschpulver und eine Tüte Zucker gekauft. Ob sie Angst habe, frage ich. „Nein“, lacht sie. „Um diese Tageszeit nicht, erst heute abend.“
Mpushini gilt als Gebiet der Zulupartei Inkatha. Jenseits der Hauptstraße, oben auf dem Kamm des Berges, liegt Folweni, das vom Afrikanischen Nationalkongreß (ANC) kontrolliert wird. Dort waren am Abend vor dem Massaker in Mpushini sieben Menschen getötet worden. In Folweni liegen mehrere Straßenzüge vollkommen verlassen da: zertrümmerte Fenster, zerstörte Dächer, zum Teil eingestürzte Mauern. Es herrscht eine bedrohliche, unangenehme Stille. Ein Inkatha-Angriff im Juli hatte diese Straßen leergefegt. Die Bewohner sind geflüchtet. Sie leben in großen Zelten, fünf Kilometer entfernt, fast am Strand des Indischen Ozeans. Ob sie je in ihre Häuser zurückkehren können, wissen sie nicht.
Professionelle Killergruppen mit automatischen Gewehren
„In Natal herrscht ein Bürgerkrieg auf kleiner Flamme“, warnen Inkatha und ANC. Mehr als 180 Menschen wurden im Oktober umgebracht. „Es geht zu weit, das als Bürgerkrieg zu beschreiben“, meint dagegen Roberto Guimaraes, einer der UNO-Beobachter, die in dem Konflikt zu vermitteln versuchen. Aber er macht sich große Sorgen über die Eskalation der Gewalt in den letzten Monaten. Dabei fällt ein Aspekt besonders auf: Früher bekämpften sich die Bewohner der verfeindeten Gebiete. Hunderte gingen mit Messern, Macheten und Speeren aufeinander los. Jetzt nimmt die Zahl der professionell geplanten Angriffe durch kleine, mit automatischen Gewehren bewaffnete Gruppen zu.
„Kern des Konfliktes ist der Versuch von ANC und Inkatha, ihre Gebiete zu vergrößen, um im Vorfeld einer freien Wahl Wähler unter ihre Kontrolle zu bringen“, sagt Mervyn Frost, Politikprofessor an der Natal-Universität in Durban. Die territoriale Art der Kämpfe geht auch aus einem Inkatha-Bericht über die Gewalt hervor. Da ist die Rede von einem „deutlich erkennbaren Trend zum Völkermord und der systematischen ,Ausrottung‘ von Inkatha- Unterstützern in Gegenden, die traditionell von Inkatha kontrolliert werden. Es ist ein gezielter Versuch, die Machtbasis von Inkatha im ländlichen Natal zu sabotieren.“ Und die ländliche Machtbasis ist für Inkatha von zentraler Bedeutung.
Inkatha-Chef und Häuptling Mangosuthu Buthelezi steht regungslos am Rednerpult, den Blick ein wenig gesenkt, das Haupt aber würdevoll erhoben. Aus den Lautsprechern prasselt eine dröhnende Wortflut auf die etwa 5.000 Zuschauer: der Inyosi, der Lobdichter des Zuluführers, rezitiert dessen Errungenschaften. Zehn Minuten und länger rattert der wuchtige Mann im Lendenschurz, ein Stirnband aus Leopardenfell um den Kopf, Buthelezis Lebenslauf herunter, lobt seinen Clan, nennt wichtige Persönlichkeiten, mit denen der Häuptling zu tun hatte. Da taucht auch die Serie der weißen Premierminister und Präsidenten Südafrikas auf: B.J. Vorster, P.W. Botha, F.W. de Klerk. Und gegen Ende wird Nelson Mandela erwähnt.
Politische Freiheit gefordert – im Lager des Gegners
In Nsingweni im Nzuza-Stammesgebiet, 150 Kilometer nördlich von Durban, im Kerngebiet des Homeland Kwa Zulu, haben Stammestraditionen noch Bestand. Die Menschen machen einen Kniefall vor den Häuptlingen, die mit Tierfellen und Federn aufwendig geschmückt sind. Männer und Frauen sitzen getrennt. Barbusige junge Mädchen, die Körper mit buntem Perlenschmuck behängt, singen Buthelezi ein Ständchen. Impis, die Kampfgruppen der Männer, bewaffnet mit Stöcken, Speeren und Schildern, führen Scheingefechte.
Den Stammestraditionen Gehorsam zu leisten, das bedeutet hier auch Buthelezis Partei Inkatha zu unterstützen. Denn dies ist eine politische Versammlung. Dutzende von Schülern tragen Inkatha-T-Shirts. Und Buthelezi entrüstet sich über den ANC, der politische Freiheit im Zulu-Reservat Kwa Zulu fordert. „Der ANC will Kwa Zulu zerstören, will Inkatha vernichten, setzt dazu Gewalt ein, und dann hat er die unglaubliche Frechheit, aller Welt vorzujammern, daß es in Kwa Zulu keine politische Freiheit gibt.“
Der ANC plant schon seit einiger Zeit, seiner Forderung mit einem Marsch in die Kwa-Zulu- Hauptstadt Ulundi Nachdruck zu verleihen. „Ich werde keinen Finger dagegen erheben“, sagt Buthelezi. „Aber ich hoffe, daß an jenem Tag alle Inkatha-Führer Ulundi verlassen werden, damit wir nicht für die Konsequenzen der Wut der Bevölkerung verantwortlich gemacht werden können.“ Ohnehin, so Buthelezi, gebe es auch in Gebieten, die der ANC kontrolliert, keine politische Freiheit.
Das stimmt. Aber sowohl Inkatha als auch der ANC behaupten, daß sie nur Frieden gewährleisten können, wenn sie ein Gebiet vollkommen kontrollieren. „Zu mir kommen viele Flüchtlinge, weil es bei mir am ruhigsten ist“, prahlt Thomas Tshabalala, ein führendes Inkatha-Mitglied. Professor Frost bestätigt das: „Tshabalala ist furchterregend, ein besonders grausamer Mann. Aber die Leute fühlen sich unter ihm sicher. Entwicklungsgelder fließen, Straßen werden asphaltiert, Schulen gebaut.“
Tshabalala ist ein fast zwei Meter großer Mann. Sein Gesicht ist von senkrechten Stammesnarben durchfurcht, die Augen sind klein, rot angelaufen, einige Zähne abgebrochen. In seinem silbernen Mercedes mit verdunkelten Fenstern wird er immer von zwei Leibwächtern begleitet. Zwischen den Vordersitzen steckt griffbereit ein abgesägtes Schrotgewehr, eine grobe Waffe für den Nahkampf, bei der es auf Zielgenauigkeit nicht ankommt. Lindelani heißt sein Gebiet, eine Slumsiedlung außerhalb von Durban. Von fast 400.000 Menschen sammeln Tshabalalas Handlanger Schutzgelder.
Tshabalala hält moderne Formen der Demokratie für Unsinn. In Gegenden, wo Stadträte gewählt wurden, gebe es zu viele Führer, sagt er. „Wir Schwarzen sind damit aufgewachsen, daß es einen einzigen Häuptling gibt, der ein großes Gebiet regiert“, sagt er. „Ich bin glücklich darüber, daß ich mein Gebiet regieren kann wie unsere Vorväter.“
Daß er selbst kein Häuptling ist, sondern durch grausamste Mafiamethoden den Leuten seine Macht aufgezwungen hat, stört ihn nicht. ANC-Mitgliedern zufolge hat Tshabalala schon immer eng mit der berüchtigten Kwa-Zulu-Polizei zusammengearbeitet. Im September wurde seine Stellung legitimiert: er ist jetzt Mitglied des Kwa- Zulu-Parlaments. Als einer der mächtigsten Inkatha-Leute in Durban ist Tshabalala auch noch Exekutivmitglied des regionalen Friedenskomitees für Natal.
„Der ANC bringt unseren Kindern bei, die Häuptlinge nicht mehr zu achten“, erklärt Tshabalala die Gründe für die Gewalt in Natal. „Die Kinder haben sich in die Politik eingemischt, von der sie nichts verstehen. Wenn wir die Kinder unter Kontrolle bringen, haben wir das Problem im Griff.“
Stadt und Land, alt und jung
Die Analyse ist grob, aber sie trifft wohl zu. „Die Basis der Unterstützung für Inkatha ist ländlich und traditionsbewußt“, sagt Professor Frost. Buthelezi hat mit dem Homeland Kwa Zulu schon immer ein Instrument besessen, um diese ländliche Basis für Inkatha zu mobilisieren. Häuptlinge sind im Kwa-Zulu-Parlament in der Mehrheit. Sie sind für ihren Einfluß, ihr Einkommen zum großen Teil von der Gunst der Kwa-Zulu-Verwaltung abhängig. Aber, so warnt Frost, der Prozeß der rapiden Verstädterung in Südafrika untergrabe die ländliche Basis von Inkatha. Durban gilt, nach Mexico City, als die am zweitschnellsten wachsende Stadt der Welt. „Die Unterstützer von Inkatha sind mehrheitlich ältere Leute“, fügt Frost hinzu. „Aber mehr als 50 Prozent der schwarzen Bevölkerung sind jünger als 20 Jahre.“
Der ANC kontrolliert wohl die meisten städtischen Gebiete in Natal. Das gibt implizit sogar Inkatha- Sprecher Kim Hodgson zu, der auf einer Landkarte zeigt, wie sich Angriffe auf örtliche Inkatha-Führer in den letzten Jahren von den Städten aus in ländliche Gebiete verbreitert haben. „Wir haben ein starkes Interesse daran, in dieser Region die Kontrolle zu behalten“, sagt Hodgson. Immerhin lebe ein Viertel aller Wähler Südafrikas in Natal. Zwar habe Inkatha keine koordinierte Gewaltstrategie wie der ANC, so Hodgson. „Aber es hat Einzelfälle gegeben, wo Inkatha reagiert hat, indem auch Massaker verübt wurden. Wir führen auch Präventivangriffe gegen den ANC durch.“
Hodgson behauptet, daß der ANC in letzter Zeit immer öfter Mitglieder seiner Armee „Umkhonto we Sizwe“ (Speer der Nation, genannt MK) für gezielte Attacken einsetzt. Viele Angriffe seien durch „blitzartige Mobilität, koordinierte Präzision und schnellen Rückzug, also durch einen hohen Grad an Professionalität“, gekennzeichnet. Deshalb fordert Inkatha jetzt mit einer großangelegten Kampagne die sofortige Auflösung von MK.
Inkatha und der Sicherheitsapparat
Der ANC kontert mit der Behauptung, daß der Konflikt in Natal von konservativen Gruppen im Sicherheitsapparat geschürt wird, die eine friedliche Lösung in Südafrika verhindern und den ANC schwächen wollen. Dabei wird Inkatha als Handlanger dieser Kräfte dargestellt. Hodgson selbst sowie seine Kollegen Ed Tillet und Phillip Powell werden als Beispiel angeführt. Sie alle waren führende Mitglieder rechter Studentenorganisationen, die von der Sicherheitspolizei finanziert wurden. Als die Geheimfinanzierung im August 1991 aufflog, wurden die Gruppen aufgelöst. Und Hodgson, Tillet, Powell und andere stiegen zu Inkatha um. „Powell gibt offen zu, daß er für die Polizei gearbeitet hat“, meint ein Mitglied des Inkatha-Zentralkomitees. „Aber wir gehen davon aus, daß die Leute sich verändern können.“
Auch andere Verbindungen zwischen Inkatha, der Sicherheitspolizei und dem Militär sind belegt. Im Juli 1991 wurde aufgedeckt, daß die Sicherheitspolizei erhebliche Geldsummen an Inkatha gezahlt hatte, um politische Versammlungen zu finanzieren. Das Militär hat zugegeben, mehr als hundert Inkatha-Leute militärisch ausgebildet zu haben, um sie als „Leibwächter für Inkatha-Führer“ einsetzen zu können.
„Die Gewalt geht vom Staat aus“, sagt Bheki Cele von der regionalen ANC-Führung in Durban. „Wir können uns nicht auf die Polizei verlassen, um uns vor Angriffen zu schützen.“ Deshalb habe der ANC keine andere Wahl, als seine Anhänger durch MK-Kämpfer schützen zu lassen. Und, fügt Cele, ähnlich wie Hodgson, hinzu, Verteidigung bedeute auch, daß man nicht immer zu Hause sitzen und auf einen Angriff warten könne. „Man muß auch Präventivangriffe machen.“
Für Cele ist klar, daß der Konflikt in Natal zur Zeit nur militärisch zu bewältigen ist. „Es kann keine militärische Lösung geben; die endgültige Lösung ist immer politisch“, sagt er. „Aber vorher wird es militärische Aktionen geben. Wenn jemand auf dich schießt, dann lächelst du ihn doch nicht an und wartest auf eine politische Lösung.“
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