Kambodschanische Spekulationen

Rote Khmer scheren aus Friedensprozeß aus/ Wahlvorbereitungen werden dennoch fortgesetzt/ UN-Sicherheitsrat will sich diese Woche mit dem Problem befassen  ■ Aus Phnom Penh Jutta Lietsch

Um das Kambodscha-Problem nach dreißig Jahren des Terrors und des Bürgerkrieges zu lösen, „braucht es unendliche Geduld“, sagt ein ehemaliger indonesischer Außenminister nach den unlängst in Peking gescheiterten Verhandlungen des obersten Staatsrates, in dem die vier ehemals verfeindeten Fraktionen jetzt zusammensitzen. Denn nach wie vor wollen die Roten Khmer unter Führung Pol Pots, unter dessen Herrschaft in den siebziger Jahren schätzungsweise eine Million Menschen den Tod fanden, ihre Waffen nicht abgegeben und verweigern den UN-Repräsentanten den Zugang zu den von ihnen kontrollierten Gebieten.

Geduld ist teuer

Zugleich warnte der Indonesier die UNO davor, sich in eine militärische Auseinandersetzung mit den Truppen der Roten Khmer zu begeben: „Die kennen ihr Terrain zu gut.“ Aber Geduld ist teuer, und niemand in Kambodscha rechnet damit, daß sich die UNO-Präsenz in Kambodscha auf unbestimmte Zeit weiter finanzieren lassen wird, zumindest nicht im gegenwärtigen Umfang. Und welche Regierung könnte es auch innenpolitisch vertreten, wenn ihre Soldaten bei Kampfeinsätzen in Kambodscha ums Leben kommen?

Ganz gewiß nicht Japan, der bedeutendste Geldgeber der Mission der UNTAC, der United Nations Transitional Authority for Cambodia. Denn die Regierung in Tokio konnte die Entsendung der ersten japanischen Blauhelme nur gegen den heftigsten Widerstand der Opposition durchsetzen. Was kann also der UNO-Sicherheitsrat überhaupt beschließen, wenn er sich, wie erwartet, in dieser Woche zusammenfindet, um über neue Schritte zu beraten, wie die rund sieben Millionen Menschen im Herzen Indochinas endlich in Ruhe und Frieden leben können?

Wirtschaftssanktionen gegen die Roten Khmer?

Es „wird wohl Wirtschaftssanktionen gegen die Roten Khmer geben“, sagt ein westlicher Diplomat in der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh, „obwohl die Chinesen das Wort ,Sanktionen‘ nicht mögen. Dann heißt es eben: ,Maßnahmen, die wirtschaftliche Auswirkungen auf jene Fraktionen haben, die das Friedensabkommen andauernd verletzen‘.“

Treffen würden derartige Sanktionen die ehemaligen – und, wie gut informierte Beobachter in Phnom Penh sagen, auch gegenwärtigen – Unterstützer der Roten Khmer, die ihre alten Kontakte für den lukrativen Handel mit Holzkonzessionen und Edelsteinen weiter nutzen, unter anderen die Volksrepublik China und vor allem Thailand. Die thailändische Regierung hat in den vergangenen Wochen erklärt, sie werde sich an einem Embargo beteiligen, wenn der Sicherheitsrat dies denn beschließen solle. Ob solche Sanktionen aber wirklich durchsetzbar wären, wandte der thailändische Armeechef Vimol Wongwanich ein, sei doch sehr fraglich. Die Grenze mit Kambodscha sei schließlich fast 800 Kilometer lang und schwer zu kontrollieren. Und thailändische Händler protestieren lautstark, sie hätten schließlich Investitionen von mehr als drei Milliarden Baht (16 Baht=1 DM) in Kambodscha getätigt, von denen immerhin über 100.000 Arbeitsplätze abhingen.

In Phnom Penh herrscht das Prinzip Hoffnung

Gibt es aber überhaupt noch eine Grundlage für die weitere Präsenz der UNTAC in Kambodscha, wenn die Roten Khmer als eine der vier Unterzeichnerfraktionen des Pariser Friedensabkommens von vor gut einem Jahr nun am Friedensprozeß nicht mehr beteiligt sind? Damit sind nämlich die Bedingungen für die Abhaltung allgemeiner und freier Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung nicht erfüllt. Doch solange es keine militärische Offensive gibt, klammern sich alle Beteiligten an das „Prinzip Hoffnung“. Der UN-Sicherheitsrat werde, meinen Diplomaten in Phnom Penh, keine Veränderung des UNTAC-Mandats beschließen. Zu erwarten sei vielmehr eine veränderte Implementierung des Pariser Abkommens.

Das würde zum Beispiel bedeuten: Die WählerInnenregistrierung in den zugänglichen Gebieten wird fortgesetzt. Und anstatt weiter vergeblich auf Soldaten der Regierungstruppen Hun Sens und der Roten Khmer zu warten, die gewillt sind, ihre Waffen abzugeben und sich kantonisieren zu lassen, werden die Blauhelme künftig verstärkt zum Schutz der Wahlvorbereitungen eingesetzt.

Unterdessen werden politische Strohhalme auf ihre Haltbarkeit überprüft. In den vergangenen Wochen hat die Regierung Hun Sen verstärkt von der Möglichkeit vorgezogener Präsidentschaftswahlen gesprochen. Nachdem Vertreter des französischen Außenministeriums diesen Vorschlag aufgegriffen haben, „würden die meisten der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates ein solches Vorgehen wohl mittragen“, heißt es in Phnom Penh. Das sieht das Friedensabkommen zwar nicht vor, aber daß Prinz Norodom Sihanouk Präsident werden will und soll – und er auch gewählt werden würde – gehört zu den wenigen unumstrittenen Dingen in Kambodscha.

Die Wahl eines Präsidenten vor der Schaffung einer Verfassung sei „nicht glücklich, aber machbar“, meint der aus Simbabwe stammende Verfassungsrechtler Reginald Austin, der als Vorsitzender der Electoral Component der UNTAC für die Wahlvorbereitungen zuständig ist. Sihanouk selbst hat in Peking erklärt, er werde sich nur zur Verfügung stellen, wenn die Bevölkerung in allen Gebieten an der Wahl teilnehmen kann.

Noch gibt es widersprüchliche Berichte über die Bereitschaft der Roten Khmer, eine Präsidentschaftswahl auf ihrem Territorium zuzulassen. Die Regierung in Phnom Penh jedenfalls scheint darauf zu setzen, Sihanouk umstimmen zu können.

„Für Hun Sen wäre ein solches Szenario wie Ostern und Weihnachten an einem Tag: Sihanouk wird Präsident, die Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung finden – weil von den Roten Khmer verhindert – nicht statt, UNTAC zieht ab. Zurück bleibt die bisherige Regierung, legitimiert durch einen gewählten Sihanouk. Und die Roten Khmer sind weiter isoliert und ökonomisch geschwächt“, sagt ein langjähriger Beobachter Kambodschas. „Allerdings ist es genauso unwahrscheinlich. Sihanouk ist unberechenbar, aber schlau. Die Roten Khmer sind beides auch – und sie haben einen langen Atem.“