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Mondäne Welt

■ Andreas Zielckes Nachruf auf den „letzten Playboy“ Porfirio Rubirosa

Wem die Lebewelt der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts nicht aus eigener Erfahrung oder aus der Lektüre der einschlägigen Gazetten vertraut ist, muß den Gegenstand dieses schmalen Buches zunächst für eine Erfindung halten, die nichts Gutes verspricht. Schon der Name des Helden – „Porfirio Rubirosa, ein Klang wie Rumba- Rhythmen in den Schlagernächten der Karibik“ – evoziert ein Genre, das kaum zum Lektürepensum des literarisch und zeitgeschichtlich interessierten Zeitgenossen gehört. Nun hat es aber diesen Rubirosa wirklich gegeben, und sein Erdenwallen war tatsächlich aus dem Stoff, aus dem die Bestseller sind – heillos mondän, Schaumwein der trivialromantischen Phantasie.

Es ist Zielcke gelungen, aus dem realhistorischen Kitsch seines Stoffes einen souverän kitschlosen Text zu machen. Er rechnet mit Lesern, die nicht auf imaginäre Partizipation aus sind, die Erfahrung der Alltagswelt wird hier weder abgebildet noch eskapistisch geflohen. Beiläufig differenziert Zielcke die romantischen und die sensationellen, die skrupellos-kulinarischen, die abenteuerlichen und die abscheulichen Elemente in Rubirosas Karriere, blendet Perspektiven auf, stellt Aspekte nebeneinander, ohne das schillernde Mosaik mit einem Gesamturteil abzuschließen.

„Der letzte Playboy“, der seinen Gegenstand als „die elegante Verkörperung der von jedermann ersehnten Regelwidrigkeit, des permanenten Ehebruchs“ bescheibt, läßt sich auch als Beitrag zu einer unverklemmmten historischen Anthropologie lesen. Schon ein Zeitgenosse schrieb, Rubirosas Lebenswandel enthalte alle Ingredienzien eines Errol-Flynn-Films: Draufgängertum, „Haudegenkultur“ und Weiberheldentum. Rubirosa legte sich mit dem blutrünstigen Diktator Trujillo an, mit dessen Tochter seine erotische Karriere begann. Er schlägt aus tumber Galanterie – in einer Szene wie aus „Casablanca“ – einen Gestapo-Offizier nieder. Er überlebt die Schüsse und Duelldrohungen eifersüchtiger Ehemänner ebenso wie halsbrecherische Sportunfälle. Zielckes Essay ist aber zum Teil auch eine Sozialreportage über eine bizarre und hermetische High-Society, deren Leben aus „kosmopolitischen Zerstreuungen“ („mit begrenzter emotionaler Haftung“) besteht. Auch im nationalsozialistischen Berlin und im besetzten Paris geht es dem „Liebesparasiten“ Rubirosa um nichts anderes als das penetrant-süße Leben. Zielcke trägt die privilegierten Bedingungen der Möglichkeit dieses begnadeten und begünstigten Schmarotzers zusammen, aber alles wird nur angedeutet, nichts ausgemalt: Rubirosa wird zum Kristallisationspunkt der erotischen Kollektivphantasien einer Epoche. Er selbst ist eher das leere Zentrum des Buches. „Erst die Gewißheit, ein beliebiges Verbindungsglied in der lasterhaften Kette zu sein, bot den beteiligten Frauen den besonderen Reiz, nicht einen gewöhnlichen Ehebruch zu begehen, sondern an der kollektiven Idee des lustvollen Ehebrechens teilzunehmen. Diese Phantasie hatte nichts mit dem Alltag und konkreten Menschen zu tun, sondern mit dem Traum eines sozialen Dunkelraumes, in den man durch einen Mann wie Rubirosa entführt wird, und in dem eine sich niemals abnutzende erotische Improvisation und männlich-antimännliche Tabuverletzung stattfinden kann.“

Zielcke macht deutlich, in welchem Maße auch der Mythos des unwiderstehlichen Verführers ein Rezeptionsphänomen ist. Im Falle Rubirosas dürfte seine leibhaftige Erscheinung durch Gerücht und Legende schließlich so überhöht und entwirklicht worden sein, daß der eigentliche Reiz, den der Playboy auf die Frauenwelt ausübte, schließlich darin bestand, „von dem phantastischen Mythos der männlichen Begierde selbst begehrt zu werden“. Je mehr er die Träume der Männerwelt ausagierte – allem Anschein nach hat er nicht nur eine, sondern nahezu alle der mythisch-prominenten Frauengestalten der Jahrhundertmitte beglückt und überhaupt Promiskuität und Ehebruch als schöne Kunst betrachtet und praktiziert –, desto mehr wurde er zum Traum der Frauenwelt. Rubirosa war kein Heiratsschwindler, eher ein Heiratskünstler, er hat die Kunst des „mondänen Frauenfangs“ (Eckart Henscheid) ungemein produktiv und sozusagen hauptberuflich betrieben.

Seinen Lebensunterhalt bestritt er mit wechselnden Ämtern im dominikanischen diplomatischen Dienst; durch konsequente Nichterfüllung seiner Pflichten erreichte er die Versetzung in andere Metropolen (Paris, Rom, Berlin, Buenos Aires, Brüssel, Havanna). Vor allem aber sorgten seine ebenso millionenschweren wie leichtlebigen und freigiebigen Gattinnen dafür, daß es ihm an nichts fehlte: zu den Morgen- und Abendgaben gehörten Stadtpalais, Polopferde, Flugzeuge, 500.000-Dollar-Schecks. Neben seinen fünf Ehefrauen – der Tochter des dominikanischen Diktators Trujillo, einem Filmstar, einem Fotomodell und den beiden reichsten Frauen der Welt – weist seine Leistungsbilanz auch Namen wie Zsa Zsa Gabor, Ava Gardner, Marilyn Monroe und Evita Perón auf. Dabei war Rubirosa kein Sexual-Snob. Sein Wirkungskreis kannte, wenn man Zielcke und seinen Quellen glauben darf, keine Klassenschranken: Eine seiner Gattinnen berichtet, er habe bereits wenige Stunden nach der Hochzeit das Dienstmädchen beglückt. Die „archaische Hemmungslosigkeit seines Frauenverschleißes“ wurde schließlich Teil seiner Faszination. „Seine Ausstrahlung und sein Verhalten schienen vielmehr an der Kontrolle des Intellekts vorbei unmittelbar den Sinnen seiner Partnerinnen zu versprechen, daß das – aus der Sicht der kulturellen Arroganz – angeblich immer gleiche und niedrige sexuelle Vergnügen in Wahrheit die intensivste gegenseitige Wertschätzung zum Ausdruck bringt. Natürlich war dies eine Fikton. Doch ihrer Wirksamkeit (...) mußte dies nicht im Wege stehen.“

Zur Legendenbildung trug die Vorstellung bei, daß die Anatomie das Schicksal bestimmt (Freud), das ressentimentgeladene Munkeln der Geschlechtsgenossen tat ein übriges: „Mag Rubirosa die Anatomie des Priapos besessen haben oder nicht, sich in derlei Spekulationen über den Grund seiner Erfolge zu verlieren, war reine Männersache, die Sache von hechelnden Primanern.“ Zielcke fügt die Perspektive der kollektiven erotischen Phantasmen dem beiläufig skizzierten zeitgeschichtlichen Kontext ein. Sein Essay unternimmt keine aufklärerische Arbeit am Mythos des Playboys; und gerade, indem er ihn nicht in ästhetischer Perspektive betrachtet, macht er aus dem Playboy eine „ästhetische Idee“.

Dank Zielckes Diskretion wird Rubirosa wieder zu der weltfremden und geschichtsfernen Phantasiegestalt, die er zu Lebzeiten leibhaftig verkörperte, zur Ausgeburt einer versunkenen Frauen- und Männer-Welt, in der das Leben als unablässige Folge mondäner Kopulationen ohne die Verdrießlichkeiten romantischer Empfindungen und bürgerlicher Beschränkungen von den einen gelebt, von den anderen imaginiert wird. Und da wir schließlich Wichtigeres zu tun haben, als unsere Lebens- und Lesezeit mit der Welt des gehobenen Müßiggangs und ihren privilegierten Nichtstuern und Lustgewinnlern zu vertändeln, hat der Autor es kurz und intelligent gemacht und keinen Roman, keine Biographie und kein Sittenbild geschrieben, sondern einen Essay, der all das in sich vereint.

„Es war in erster Linie nicht sein Alter, sondern die soziale und kulturelle Entwicklung des Geschlechterverhältnisses, die ihn überholt hatte und ihn zum Schluß beinah schon wie ein anachronistisches Monument hatte erscheinen lassen“, folgert Zielcke. Er zitiert aber auch, was eine von Rubirosas exzessiv hintergangenen Ehefrauen über ihn sagte: „Er war ein paar Jahrhunderte zu früh dran.“ Womöglich gibt es also doch keine einheitliche Weltgeschichte der Mannsbilder und Frauenphantasien. Rudolf Helmstetter

Andreas Zielcke: „Der letzte Playboy“. Hrsg. von Kurt Scheel, Steidl Verlag, Göttingen, 112 Seiten mit 28 Fotos, Broschur, 24DM

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