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Ein erotisches Bermudadreieck

■ Gespräch mit Charlotte von Mahlsdorf über sexuelle Untiefen und Homophobie

Nachdem wir an dieser Stelle vor einiger Zeit von Praunheims filmisches Portrait aufs schärfste gegeißelt und Charlotte von Mahlsdorf selbst aufs herzlichste hofiert haben (taz vom 12.11.), möchten wir sie hier nun selbst zu Wort kommen lassen. Mit Charlotte von Mahlsdorf sprach Johannes Schneider über den Umgang der DDR-Behörden mit schwuler Sexualität und über schwule Alltagskultur.

taz: Kannst Du einen kurzen Überblick über die Geschichte der Homosexuellen in der DDR geben?

Charlotte von Mahlsdorf: Das Leben in der DDR war kein einfaches Leben. Wir hatten ja fraglos über 40 Jahre eine Gewaltherrschaft. Während sich in Westberlin und Westdeutschland alles sehr schnell normalisierte – sicher lag das wesentlich an der Toleranz der WestAlliierten – sind die Anfänge, die im Osten und Ostberlin nach 1945 stattgefunden hatten, anfangs unterdrückt und nach und nach vom DDR-Staat zerstört worden. Alle Lokale wurden geschlossen, und es war verboten, zu inserieren. Erst in den 70er Jahren, nachdem Rosa von Praunheim seinen mutigen Film gedreht hatte („Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“,1970), gab es auch in der DDR wieder eine Bewegung. In Ostberlin bildete sich die „Homosexuelle Interessengemeinschaft Berlins“, die aus Frauen wie Männern bestand. Wir haben Feiern und Sommerfeste veranstaltet, Veranstaltungen mit kulturell hohem Niveau, Kabarett, Vorträge, Vorstellungen verschiedener Art. Auch eigene Filme wurden gemacht und gezeigt – bis dann plötzlich von der Staatssicherheit alles rigoros verboten wurde. Ausschlaggebend waren wohl die Anfänge lesbischer Organisation, die vom Staat in rüder Form unterbunden wurde.

Gab es DDR-spezifische soziale Kontrollmechanismen in bezug auf das Privat- und Intimleben von homosexuellen Bürgern in der DDR?

Bei den ebenso harmlosen wie unpolitischen Treffen wurden Leute dazugeschleust, die auszuhorchen und zu gucken hatten und Berichte schrieben. Allerdings wußte man im allgemeinen, wer das war. Der DDR-Staat ist letztlich von alleine umgekippt, da mußten weder die Schwulen noch die Lesben mithelfen.

Hatte die Stasi nicht ein Interesse an „rosa Listen“, um politisch Andersdenkende unter Druck setzen zu können?

Das denke ich schon. Vermutlich wollte man Leute von Rang und Namen unter Druck setzen.

Die Selbstmordrate in der DDR war insgesamt außerordentlich hoch. Denkst Du, daß sie bei Schwulen und Transvestiten wegen der widrigen äußeren Umstände noch über dem Durchschnitt lag?

Speziell bei jungen homosexuellen Männern führte die schwierige Lebenssituation in der Tat häufig zu Depressionen und Selbstmorden. Von den Männern mit weiblicher Psyche, die vom DDR-Militarismus zwangsweise einkassiert wurden, haben viele Schluß gemacht.

Gab es in Deinem Freundes- und Bekanntenkreis Homosexuelle, die die DDR in erster Linie wegen der fehlenden gesellschaftlichen Akzeptanz und den mangelnden beruflichen Entfaltungsmöglichkeiten verlassen haben?

Ja, eine Menge Homosexueller sind ausgewandert, weil sie beruflich nicht weiterkamen und diffamiert wurden. Anfangs ließ man sie ziehen, nach dem Mauerbau jedoch verhärtete sich die offizielle Haltung zunehmend.

Hat sich der DDR-Staat durch die Unterdrückung und Ausweisung solcher Menschen nicht auch ökonomisch selbst geschadet?

Wir sind nicht besser oder schlechter als andere. Allerdings standen Homosexuelle unter einem besonderen Leistungsdruck, um gesellschaftlich akzeptiert zu werden.

Wie hat sich Deine Sexualität denn von deiner Kinder- und Jugendzeit an entwickelt?

Ich habe schon als Kind Zuneigung zu Jungens gehabt, auch in erotischer Hinsicht. Mädchen fand ich hübsch, nur hatte ich ihnen gegenüber keine erotischen Ambitionen. Vielmehr wollte ich genauso hübsch sein wie sie und taillierte Kleider anhaben. Ich hatte einen Schulfreund, der ebenso war wie ich. Mit ihm hatte ich mit 13 Jahren meine ersten sexuellen Erlebnisse. Das hat mich beglückt, ich war richtig verliebt, wie ein junges Mädchen. Meine späteren Freundschaften mit Männern haben dann immer sehr lange gehalten. Dabei habe ich immer weniger nach Aussehen und Alter, sondern nach ihrem Wesen gefragt: Ist er gutherzig? – Und damit habe ich immer Glück gehabt.

Böse Zungen behaupten von Transvestiten: Lügen haben kurze Beine – Warst Du mit Deinem Körper zufrieden?

Ich bin Transvestit und nicht transsexuell. Auch wenn ich heute jung wäre, würde ich mich nicht umoperieren lassen. Einen Bart allerdings würde ich niemals tragen wollen, obwohl ich zugestehen muß, daß manchen Männern ein Bart durchaus steht.

Um die Frage auf den Punkt zu bringen: Hast Du Deinen Penis nie als Fremdkörper empfunden?

Nein, meine Geschlechtsteile haben mich nie geniert. Entscheidend war für mich immer, daß man innerlich mit sich stimmig ist.

Bisweilen laufen auch moderne Frauen unter dem Motto: „Wer wogt, gewinnt“ durch die Männerwelt. Wie hast Du es da so durch die Jahre mit der Oberweite gehalten?

Da ich von Natur aus eine Frauenkleidergröße habe, mußte ich nie viel nachhelfen. Sicher, ich hätte mir ein bißchen mehr Busen gewünscht, und manchmal habe ich auch ein bißchen mit Schaumgummi nachgeholfen. Da mußte die Kunst ersetzen, was die Natur versagt hat. Aber ein bißchen hab' ich ja auch.

Auf Otto Normalverbraucher wirkt diese Überschneidung von männlichen und weiblichen Linien wie ein erotisches Bermudadreieck, das aus der Ferne schillert und belustigt, im Alltag jedoch nicht selten Unsicherheit und Aggressionen hervorruft...

Das ist eigentlich alles eine Intelligenzfrage. Leute, die aggressiv oder gewalttätig gegen Transvestiten sind, vergessen, daß auch sie selbst nichts dafür können, wie sie sind und auch ganz anders sein könnten. Zudem kann man keineswegs ausschließen, daß solch gewalttätige Menschen latent genau die Impulse in sich tragen, die sie offenbar aggressiv abgrenzen müssen, um sich dann sagen zu können: Da gehören wir nicht dazu!

Viele Ostdeutsche glauben heute im nachhinein feststellen zu können, daß es unter der sozialistischen Käseglocke zwar ziemlich miefig war, aber eigentlich doch ganz gemütlich.

Von Gemütlichkeit kann da ja wohl keine Rede sein! Man wußte nie, was kommt. Inzwischen ist sogar rausgekommen, daß Internierungslager für politisch und andersartig mißliebige Personen fest geplant waren...

Wie empfindest Du heute die Stimmung unter den Ostberliner Homosexuellen?

Die Kommunikationsmöglichkeiten sind zwangloser geworden, niemand fühlt sich mehr durch „Horch und Kuck“, wie man die Stasi nannte, belauert und belauscht. Man kann jetzt eigentlich leben, wie man will. Sofern einem die eigene Familie keinen Strich durch die Rechnung macht... Interview: Johannes Schneider

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