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"Exil" wird nicht ins Exil gehen

■ Das Kreuzberger Restaurant "Exil" will trotz Bedrohungen und Überfällen durch Autonome nicht aufgeben und setzt auf Bewußtsein statt sprachlose Gewalt

Seit dem Sommer hat es in Kreuzberg eine Reihe von Überfällen und Brandstiftungen gegen Restaurants und Autos der Oberklasse gegeben, bei denen aber auch Wagen von seit langem in Kreuzberg wohnenden Ausländern getroffen wurden. Die Täter kommen offenbar aus links-autonomen Kreisen. Sie wollen damit gegen eine von ihnen befürchtete Zerstörung des „Kiezes“ durch Mietspekulanten und kapitalkräftige Mieter protestieren, ist Bekennerschreiben zu entnehmen. Überfallen wurde dabei auch das Speiserestaurant „Exil“, das von Ursula T. und Charly W. am Paul-Lincke-Ufer in Kreuzberg betrieben wird.

taz: Sie sind mehrfach bedroht und inzwischen zweimal überfallen worden, das letzte Mal vor einer Woche: Einmal wurde Scheiße ausgeschüttet und jetzt Buttersäure.

Charly: Wir wurden zuerst mit einem Flugblatt angesprochen. Das hatte den Tenor: verzieht euch. Das habe ich erst gar nicht ernstgenommen, bis ich dann die Scheiße abbekommen habe. Danach kam dieser Ankleber: „Bonzen, Yuppies, Geschäftemacher, Karrieristen raus – dies ist proletarisches Areal.“ Dazu ist ein Mann zu sehen mit „jüdischem“ Aussehen. Das ist doch irre. Nun haben sie uns erneut überfallen, haben an unserem geschäftsfreien Tag die Tür aufgebrochen und Buttersäure im Lokal verschüttet.

Das wäre die zweite Vertreibung. Das „Exil“, das jetzt über zwanzig Jahre besteht, war ja im wirklichen Sinne des Wortes ein Exil für die Gründer.

Die Gründer mußten weg aus Österreich, weil die politische Aktionskunst und ihre Happenings von Nitsch, Rühm oder auch Mühl Ende der sechziger Jahre für Österreich nicht tragbar waren. Die haben in den Stephansdom geschissen oder wie Hundertwasser auf dem Tisch der Universitätsaula die Notdurft verrichtet. Die sind regelrecht ins Ausland vertrieben worden. Ossi Wiener hat dann aus dieser Kneipe, die es seit 1896 gab, einen Salon gemacht, mit Lesungen, wo viele jetzt bekannte Künstler verkehrten, teilweise selber in der Küche kochten. Das war eine große Familie.

Seitdem wurde die Couch einmal überzogen, was man ihr auch nicht mehr ansieht. Aber im Lokal hat sich nie etwas verändert. Wir machen eine gutbürgerliche Küche, hier gibt es keinen Krawattenzwang und abendlichen Aufzug, hier kommt Oma her, Kind und Hund, jeder der will. Da sind eben auch einige Prominente dabei, und dann steht beispielsweise in der Zeitung, daß Wim Wenders, der seit vielen Jahren in Kreuzberg wohnt, hier seinen Geburtstag gefeiert hat.

Als das „Exil“ nach Kreuzberg kam, war der Bezirk ja gerade zur Kahlschlagsanierung freigegeben, wo jeder wegzog, der konnte, und alles verödete.

Das „Exil“ war wirklich eines der ersten Projekte, mit dem dieser Bezirk wieder eine lebenswerte Perspektive bekam, der Anfang von dem Kiez, der Kreuzberg heute ist. Ich selber war damals Mitglied der „umherschweifenden Heim-Rebellen“. Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und Andreas Baader hatten, nachdem sie ihre Haft wegen der Frankfurter Kaufhausbrandstiftung abgesessen hatten, in Frankfurt ein Projekt mit Leuten aus Heimen gemacht, haben Befreiungsaktionen gemacht. Ich bin damals aus einem Heim abgehauen und bei dieser Truppe gelandet, habe mit denen gelebt und gewohnt. In Berlin habe ich 1970 dann wegen des Brandanschlags auf das Amerika-Haus dreizehn Monate in Haft gesessen, später etliche Jahre „Rote Hilfe“ gemacht, bis ich im „Exil“ anfing.

Manchmal scheint es, in Kreuzberg geht das Wissen verloren um die Entwicklung dieser Kiezstrukturen, um die Projekte und die Leute, die sie mitgetragen haben, und die dem Bezirk die jetzige Lebendigkeit gaben.

Die Lebendigkeit, die der Bezirk noch hat. Diejenigen, die jetzt die Anschläge auf uns verüben, sind doch selber deswegen nach Kreuzberg gekommen, weil ihnen der Bezirk gefällt, weil ihnen die Atmosphäre gefällt. Diese Atmosphäre aber haben andere Menschen aufgebaut, nicht aber sie selber. Diese Atmosphäre, die es gibt, auch weil es das „Exil“ gibt, wollen sie erhalten. Dabei geben sie aber unserem Projekt gleichzeitig die Schuld für negative Veränderungen in diesem Bezirk, daß wir dem Spekulantentum Tür und Tor öffnen.

Es ist ja zu merken, daß andere Leute jetzt nach Kreuzberg kommen. Ich verstehe deswegen auch die Ängste derer, die diese Anschläge auf uns verüben. Es passiert was im Bezirk: Es gibt Verdrängung, es gibt Luxusmodernisierung, Wohnungen sind von den Eingesessenen nicht mehr zu bezahlen. Unter unseren Gästen sind Künstler, die klagen, sie müssen weg, weil die Mietpreise zu hoch sind. Dagegen muß man tatsächlich etwas machen.

Sie fordern ein historisches Bewußtsein ein, an dem es wohl fehlt.

Die Ängste dieser Leute kann ich verstehen. Aber ihre Aktionen tragen nichts zu einer Strategie gegen die jetzige Veränderung in Kreuzberg bei. Was die machen, drückt nur eine Sprachlosigkeit aus.

Aber das „Exil“ ist doch tatsächlich ein weit über Kreuzberg hinaus bekanntes Lokal.

Der eine oder andere Yuppie wird mit Sicherheit zu uns kommen – aber das ist nicht unsere Klientel, und wir können doch keine Gesichtskontrolle an der Bezirksgrenze machen. Wenn sich hier ein Architekt herverirrt, dann werde ich ihm nicht die Tür weisen. Auf der anderen Seite habe ich dem damaligen Innensenator Kewenig, der während des Weltwirtschaftsgipfels Kreuzberg abriegelte, gesagt: Herr Kewenig, für sie gibt es hier nichts.

Aber ich möchte mich gar nicht verteidigen. Ich will damit auch nicht sagen, daß wir der falsche Angriffspunkt, andere aber der richtige sind. Mir geht es um eines: Ich will keine Eskalation, ich will nicht weitermachen an diesem Punkt, wo es dann möglicherweise Opfer gibt.

Vor vier Jahren gab es ebenfalls einen Überfall auf das „Maxwell“ in der Oranienstraße – auch mit einem Kübel voller Scheiße und mit derselben Begründung wie jetzt, auch wenn damals noch die Mauer stand und die Verhältnisse fast idyllisch waren, verglichen mit heute. Der Filmemacher Hartmut Bitomsky, der dort versucht hat, Geld für seine Dokumentarfilme zu verdienen, hat danach aufgegeben.

Ich gebe diesem Druck nicht nach; in keinem Fall. Hartmut Bitomsky hat einfach auch Angst gehabt, hat sich das nicht zugetraut, gegen diesen Druck weiterzumachen. Wir aber bleiben hier. Die Leute, die uns überfallen, haben offenbar eine Meinung, und wir sollen die einfach akzeptieren. Dazu bin ich nicht bereit. Ich will mich nicht so einer Gewalt beugen, besonders wenn sie von links kommt. Das geht nicht.

Es gibt andere Lokale wie das „Auerbach“, die ebenfalls Ziel von Anschlägen waren. Aber es gibt kein gemeinsames Gespräch zwischen den Projekten. Wird das ganz individuell ertragen oder verschwiegen?

Ich hoffe, daß es im Bezirk gelingt, geschichtliche Zusammenhänge aufzuarbeiten, und daß darüber eine Diskussion in Gang kommt, wie sieht der Bezirk aus, in dem wir leben wollen. Ich weiß nicht, ob das gelingt. Die berühmte Kreuzberger Toleranz bedeutet eigentlich nur, daß jeder wegschaut, wenn was passiert: Hier darf jeder machen, was er will. Das ist keine richtige Toleranz.

Es gibt derzeit auch keine Zusammenhänge zwischen den Projekten. Das ist bedauerlich. Wir wollen der Gewalt etwas entgegensetzen. Kommt man nicht ins Gespräch, dann bleibt es zwangsläufig auf der lausigen Ebene der Gegengewalt. Das aber darf nicht passieren. Interview: Gerd Nowakowski

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