: „Abschied von der Sozialpolitik“
■ Kritik an geplanten Einsparungen bei Fahrdienst und Pflegegeld
Zwei dicke Vorlagen des Sozialressorts werden den Senat in seiner heutigen Sitzung beschäftigen: Der Fahrdienst für Behinderte soll neu geregelt werden. Bislang erhielten Rollstuhlfahrer im Jahr 104 Fahrgutscheine für kostenlose Fahrten in Bremen und bis zu 10 km außerhalb des Stadtgebietes. Pro Teilnehmer bezahlte das Sozialressort dafür im vergangenen Jahr im Durchschnitt 293 Mark monatlich. Das Sozialressort schlägt vor, die Fahrgutscheine durch monatliche Pauschalen vonn 250 Mark zu ersetzen. Auf 185 Mark soll die Pauschale nach den Vorstellungen des Finanzressorts gesenkt werden.
Eine ungerechte Regelung, kritisiert Doris Galda von der Landesarbeitsgemeinschaft Hilfe für Behinderte, BewohnerInnen von Randbezirken mit langen Fahrwegen würden benachteiligt. Dabei „sperren wir uns nicht gegen Veränderungen im Fahrdienst“, betont Doris Galda. Wenn der Öffentliche Personennahverkehr behindertengerecht ausgebaut sei, könne man durchaus über Kürzungen beim Fahrdienst reden. Doch noch seien nicht einmal die Hälfte der Busse Niederflurbusse, die Anschaffung neuer Straßenbahnen sei erst für Ende 1993 geplant. „Wir fordern eine öffentliche Anhörung, bevor der Senat entscheidet.“
Auch die zweite Vorlage betrifft die Schwerbehinderten: Das einkommensunnabhängige Landespflegegeld soll gestrichen und wie die Sozialhilfe je nach Einkommen gewährt werden. „Das trifft besonders Berufstätige und HeimbewohnerInnen“, erläutert Doris Galda. „Das Landespflegegeld sollte ein Beitrag zu mehr Chancengleichheit sein, es sollte die finanziellen Nachteile ausgleichen, die Behinderte durch ihre Mehraufwendungen haben. Wenn das jetzt gestrichen wird, ist das der Abschied von dieser Sozialpolitik. Dabei müßten gerade jetzt Zeichen gesetzt werden gegen das behindertenfeindliche Klima.“
Daß der Senat über diese beiden Vorlagen entscheiden will, ohne zuvor die Behindertenverbände angehört zu haben, sei ein „Affront“ urteilt Horst Frehe von Selbstbestimmt Leben. Die Behindertenvertretungen fordern, den Fahrdienst solange unverändert beizubehalten, bis eine flächendeckende Nutzung des ÖPNV auch Behinderten möglich sei. Dazu müßten pro Stunde mindestens zwei Niederflurbusse verkehren und auf mindestens zwei Straßenbahnlinien müßten Niederflurstraßenbahnen im Einsatz sein.
Die Citybahnzüge nach Bremen-Nord müßten mit Einstiegshilfen für Rollstuhlfahrer ausgestattet werden und die Bahnsteige für Rollstuhlfahrer zugänglich werden. Für Kurzstreckenfahrten zwischen Haltestelle und Wohnung, bei schlechtem Wetter oder gesundheitlichen Schwierigkeiten fordern die Verbände weiterhin eine monatliche Grundpauschale. dir
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