: Planung wie im Mittelalter
Regierung will Müllöfen, Industrieanlagen und Häuser rascher genehmigen lassen / BUND und SPD warnen vor weniger Bürgerbeteiligung ■ Aus Bonn H.-M. Tillack
Für den BUND-Vorsitzenden Hubert Weinzierl ist es ein „Rückfall ins umweltpolitische Mittelalter“, die Bundesregierung bejubelt es als großen Schritt auf dem Weg zur Entbürokratisierung. Egal ob Müllverbrennungsöfen, Industrieanlagen, Autowaschstraßen oder Wohnhäuser: Investitionsprojekte verschiedenster Art sollen von den Behörden künftig rascher und unkomplizierter genehmigt werden, bei weniger Informations- und Einspruchmöglichkeiten für den Bürger. Das sehen Gesetzentwürfe von Umweltminister Klaus Töpfer (CDU) und Bauministerin Irmgard Schwaetzer (FDP) vor, die gestern auf der Tagesordnung des Bundeskabinetts standen.
Weinzierl sprach am Dienstag von einem „Frontalangriff auf mühsam aufgebaute Positionen im Umweltrecht“. Kommt Töpfer mit seinem Entwurf für ein neues Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) durch, dann müssen die Behörden vor dem Bau von Müllverbrennungs- und anderen Abfallbehandlungsanlagen künftig keine aufwendigen Planfeststellungsverfahren mehr betreiben, in vielen Fällen entfällt dadurch die Bürgerbeteiligung. Das Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG), das künftig für diese Anlagen gilt, wird gleichzeitig so getrimmt, daß schadstoffausstoßende Anlagen aller Art unkomplizierter und innerhalb festgelegter Regelfristen genehmigt werden können. Für eine Reihe standardisierter Anlagen – Autowaschstraßen, Abfallsortierer – verheißt die Novelle sogenannte Typengenehmigungen, die dem Betreiber vor dem Bau ein kompliziertes Genehmigungsverfahren ersparen.
Auch Wohnungsbauten sollen künftig in Ost- und Westdeutschland einfacher genehmigt werden. Das neue Baulandgesetz aus Schwaetzers Ministerium, so die Klage von BUND und Naturschutzbund Deutschland, befreie Bauherren von der Pflicht, bei einem Eingriff in die Natur einen entsprechenden Ausgleich zu finanzieren. In Westdeutschland solle diese Regel auf bebaute Gebiete beschränkt werden, in Ostdeutschland aber fünf Jahre lang überall gelten.
Ebenfalls gesetzlich verankert wird die Möglichkeit, Raumordnungsverfahren auszusetzen, falls sie die Genehmigungsverfahren verzögern sollten. Außerdem sollen von privaten Investoren aufgestellte sogenannte Vorhaben- und Erschließungspläne als planungsrechtliche Grundlage für Baugenehmigungen dienen können. Die Gemeinde muß diese Pläne, die in Ostdeutschland bereits üblich sind, nur noch festsetzen. Die Bürgerbeteiligung hingegen – im geltenden Planungsrecht bei Flächennutzungs- und Bebauungsplänen zwingend – werde zur „fakultativen“ Möglichkeit heruntergestuft und damit dem Gutdünken der Behörden überlassen, kritisiert BUND-Jurist Thomas Kiel.
Tatsächlich sei es ein Mythos, glauben die Öko-Lobbyisten, daß die Genehmigungsverfahren ausgerechnet von Bürgerbeteiligung und Naturschutz behindert würden. Die SPD-Opposition im Bundestag, zu einer Beschleunigung von Verfahren durchaus geneigt, teilt diese Auffassung. Töpfer und Schwaetzer knüpfen nicht an den realen Problemen, sondern an gängigen Vorurteilen über Bürokratie und angeblich umständlichen Umweltschutz an, glaubt Michael Müller, der umweltpolitische Sprecher der SPD. Verfahrensverzögerungen würden nicht durch die Bürgerbeteiligung verursacht, sondern durch unvollständige Antragsunterlagen oder unterbesetzte und schlecht qualifizierte Behörden.
Die Sozialdemokraten wollen die Beschleunigungsgesetze deshalb, so kündigen sie es zumindest an, im Bundesrat ausbremsen. Im Bundestag legt die SPD nächste Woche einen eigenen Antrag vor, der ebenfalls beschleunigte Verfahren anstrebt, etwa mit Regelfristen und Typengenehmigungen, der gleichzeitig aber die Bürgerbeteiligung ausweitet. So sollen Umweltverbände bei Eingriffen in die Umwelt künftig per Bundesgesetz das Recht auf die Verbandsklage haben. Bisher haben sie diese Möglichkeit nur in einigen Bundesländern. Bürgerbeteiligung, das zeigten alle Erfahrungen, schaffe einen frühen Interessenausgleich, sorge für Akzeptanz und trage so zur Beschleunigung bei, argumentiert Müller.
Diese Tatsache ist selbst im Bundesbauministerium bekannt. Die Möglichkeit, Raumordnungsverfahren auszusetzen, müsse wahrscheinlich nur selten angewendet werden, heißt es im Hause Schwaetzer. Grund: Die Bürgerbeteiligung sorge in der Regel für eine Beschleunigung der Verfahren. Wer früh einbezogen werde, müsse später nicht mehr protestieren.
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