: Die Konversion der Ballermännchen
■ Im Freizi Gröpelingen können auch die mit den Bienen im Hintern was werden / Die Bremer Computerkids, 9. Folge und Schluß
Türen krachen, Gelächter schallt von drauß' von der Halle, wilde Buben stürzen herein, wollen was und verdrücken sich wieder, und im Innern des Taubenschlags flirren drei Bildschirme, umflattert von schwatzendem Volk; da wird probiert, studiert und verworfen, und wer nicht mehr mag, rauscht ab. So geht's zu, wenn man Computer im „offenen Angebot“ feilhält, und in all dem Lärmen versucht der Sozialarbeiter Armin Kowalzik am Leben zu bleiben.
Seit eineinhalb Jahren macht das Freizi Gröpelingen Computerarbeit von ganz besonderer Art; im ersten Jahr gefördert als Modellprojekt, nun muß es von selber weiterlaufen. „Wir wollten grad nicht den Freak und Tüftler“, sagt Kowalzik, „wir wollten den ganz normalen Jugendlichen“. Der ist im Gröpelinger Falle Ausländer, hat's nicht eben leicht und höchstens mal einen Gameboy zuhause.
Also besiegte das Freizi sich selbst und kaufte, nach den Geräten, erst mal Spiele über Spiele ein, Dutzende an der Zahl, durchaus auch Ballerkram drunter, „damit fängt ja nun mal alles an“, sagt Kowalzik. Daß es damit nicht aufhören muß, war der Haupt- und Hintergedanke des Projekts; daß, mit andern Worten, die Kurzen sich schon selber voranbringen, wenn man sie nur zusammen machen läßt und ab und zu kleine Schlingen auslegt.
Heute also, wie seit kurzem jeden Donnerstag, sitzen welche, die sich schon verfangen haben, und fummeln mittels Deluxe Paint und Hingabe an exzessiven Rosetten und andern bunten Bildern; zwei Türken haben sich ein Animationsprogramm besorgt und bringen nun die Halbmondflagge zum Wirbeln; und all die Werke sollen bald mal per Projektor von den Wänden der Freizeitheimdisco leuchten. Andre haben sich mit Textverarbeitung abgemüht und Plakate für den Treff gestaltet. Wieder andre tun sich lieber mal selber was Gutes und lassen den Computer ihre Lohnsteuer erledigen.
Computer kreativ heißt dieses neueste Projekt in Gröpelingen. Aber ohne Spielen ginge auch hier rein gar nichts. „Wir haben da einen mit Bienen im Hintern, der muß erst mal zwei Stunden ballern, aber hinterher kannste mit dem dann reden“, sagt Kowalzik. Am Anfang waren ja selbst die etwas kniffligeren Spiele unbeachtet geblieben. „Die Jungs wollen von selber nur den schnellen Erfolg: Diskette rein und los. Handbücher rührt hier keiner an.“
Aber wenn nebenan einer sitzt, der ganz andere Sachen kann, kommt Bewegung in die Gewohnheiten. Im Anfang von allem, was über's Spielen hinausgeht, steht meist die Schrift. Sobald die Kids begreifen, in wievielen Größen, Formen und Farben sie da ihren Namen in den Sand der Zeit drucken können, nützen sie jede Gelegenheit. Schon hat man sie. Jedenfalls für die nächste halbe Stunde.
In all dem Kommen und Gehen verliert man sich aber keineswegs aus den Augen. „Anfangs haben wir ja befürchtet, daß die am Computer dann nur vor sich hin werkeln“, sagt Kowalzik, „das Gegenteil ist der Fall: Es wird andauernd über alles gequatscht, und wer was braucht, dem wird geholfen.“
So kam's, daß die Ballerspiele bald als langweilig galten; der Spielerenner ist derzeit Kick Off, eine Fußballsimulation. Das Freizi, auch nicht faul, sichert den gewonnenen Boden, indem es große Kick Off-Turniere ausrichtet.
So mündet die solitäre Spielerei in höchst gesellige Veranstal
hierhin die beiden
am Bildschirm
„Die Freaks und Tüftler wollen wir hier gar nicht haben“Fotos: Katja Heddinga
tungen. Der Trick hat schon einmal funktioniert: Da strengten sich harte Burschen über Monate an, per Simulator den grausam friedlichen Airbus von Microsoft zu fliegen; kleine Ballermänner büffelten nunmehr Navigation, und heillose Zappler lasen stundenlang Instrumente ab: Das Projekt war nämlich als „Pilotenausbildung“ getarnt; als Lohn der Mühsal lockte ein regelrechter „Flugschein“ und eventuell gar eine Stunde im Original-Simulator der hiesigen Lufthansa. Nur mußte leider, wie's so ist, das Vorhaben wegen Stellenmangel unlängst wieder abgebrochen werden.
Nun soll es wenigstens bald wieder ein Angebot geben, wo unbeugsame Nur-Spieler zu komplexeren Spielen verführt werden können — neben dem üblichen „Offenen Treff“, wo Lust und Laune regieren dürfen, neben Computer Kreativ, wo schließlich die Entfachten ein und aus rennen. Aber auch sie brauchen noch Anstöße ohne Unterlaß. Grad stöhnt wieder einer in der Ecke: „Özal, Scheiße, was soll ich noch machen!“ Schon naht aber Kowalzik und sagt mit Sanftmut: „Fang doch jetzt mal mit'm Plan an.“
An den Wänden hängen regelrechte Comics im Disney- Styling, die auf solche Weise entstanden sind. Der Plan war damals einfach und gut: Videobilder aus
hierhin bitte das
Foto von den Jungs
am Bildschirm
„Duck Tales“ einlesen, hemmungslos schneiden, ummontieren, verschieben, neue Sprechblasen rein, und fertig war paar Wochen später der Stolz der Gruppe.
Die 15.000 Mark von der Bildungsbehörde haben zum Glück für die nötigen Geräte gereicht: Das Freizi hat einen Digitizer, mit dem man sich Videobilder in den Rechner holen kann, ein Genlock-Interface, welches das bearbeitete Bild retour in den Film schafft; ferner einen billigen Farbdrucker und drei Computer: einen alten C 64 und zwei Amigas.
Damit haben die Kids schon alles Erdenkliche angestellt: zum Beispiel Animationen zum unerforschlichen Thema „Erste Liebe“, wo wandelnde Figürchen einander anblinkern und rote Herzchen schwitzen; „das haben welche gemacht, die saßen zum ersten Mal vorm Computer“, erzählt Kowalzik. Andere haben Illustrierten-Werbung umgepolt und mit ätzenden Slogans versehen; eine Gruppe zauberte aus den eigenen Fotoportraits Traumbilder: „Wie ich sein will“ — und hierfür schließlich waren sogar mal die Mädchen zu gewinnen.
„Die Jungs sind da immer vorneweg an den Geräten“, sagt Janina, das Groupie von Computer Kreativ. Aber auch mit kleineren Spezialangeboten an die bestehenden Mädchengruppen war bisher wenig zu machen, sagt Kowalzik. „Die schreiben höchstens mal einen Liebesbrief, ver
zieren ihn mit Herzen aller Art, dann ab in den Drucker, und weg sind sie wieder.“
Jetzt soll im Freizi eine eigene Computergruppe nur für Mädchen angeschoben werden. Die Frage ist aber, wie weit die knappen Kräfte in Gröpelingen noch hinreichen. Es fehlt an Puste, an Fortbildung, an Unterstützung aller Art. „Statt daß man unsere guten Erfahrungen auf andere Jugendfreizeitheime in Bremen übertragen hätte“, sagt Kowalzik, „sind wir mit unserer Arbeit allein geblieben“. Manfred Dworschak
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