■ Das Portrait: Ruslan Chasbulatow
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Foto: Reuter
„Also, verehrte Abgeordnete, ich stimme dafür“, gab der Sprecher des russischen Volksdeputiertenkongresses wieder einmal eine seiner unverbindlichen Wahlempfehlungen. Ruslan Imranowitsch Chasbulatow hat seine ungezogenen Jungens in Rußlands höchstem gesetzgebendem Organ im Griff. Dabei liebten sie ihn anfangs gar nicht, als Jelzin ihn 1990 zu seinem stellvertretenden Vorsitzenden im Obersten Sowjet Rußlands machte. Vier Wahlrunden waren nötig, um den 50jährigen gebürtigen Tschetschenen ins Amt zu hieven. Seither entpuppte er sich als Wolf im Schafspelz.
Chasbulatow ist ein flammender Protagonist der Marktwirtschaft, deshalb schlägt er sich heute auf die Seite der Opposition, die das meiste beim alten belassen möchte. Ruslan Imranowitsch ist auch ein mustergültiger Demokrat und Verfechter der Pressefreiheit. Deshalb schickte er seine 5.000köpfige illegale Leibgarde im Oktober mal eben vor das Gebäude der Zeitung Iswestija, um sie wie früher wieder zum Sprachrohr des Obersten Sowjet zu machen. Natürlich strebt er eine Fundamentierung des Rechtsstaates in Rußland an. Deshalb ließ er seinen Verwandten, der einen Taxifahrer mit einer Pistole bedroht hatte, kürzlich aus den Fängen der Miliz befreien. Und wie es sich für einen guten Zuchtmeister gehört, sorgt er auch ab und zu für seine Schutzbefohlenen. In einer geschlossenen Sitzung vor dem Kongreß offerierte er den Parlamentariern, die nach Ablauf der Legislaturperiode wieder zurück in die Provinz müßten, eine eigene Wohnung in Moskau: „Aber ich brauche auch eure Hilfe.“
Die Hilfe lassen sie ihm jetzt angedeihen. Sie unterstützen den narzistischen Selbstdarsteller Chasbulatow in seinem Streben, der Anti- Jelzin zu werden. Chasbulatow ist ein Solipsist. Nichts außer ihm besitzt Wahrheitscharakter. Das erklärt seine Volten und Winkelzüge, seine „Absprachen“ mit dem Präsidenten, die er anschließend eiskalt unterläuft. Wortbrüchig kann er allerdings nicht werden, weil er nie wirklich eine eigene Meinung besaß. Er war, ist und wird immer Ruslan Imranowitsch sein, der hin- und herturnt, um obenauf zu sein. Schrecklich ist die Vorstellung für so einen, das Rampenlicht, in dem er dieser Tage steht, könnte jäh erlöschen: mit dem Ende des ausgedienten Volksdeputiertenzirkus. Klaus-Helge Donath
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