: Volkstümliche Finsternis im Kernschatten
■ Die einzige in Hamburg sichtbare totale Mondfinsternis des Jahres war leider nicht zu sehen / Gekrümmte Schatten
des Jahres war leider nicht zu sehen / Gekrümmte Schatten
Kaum, daß sich der Mond Mittwoch nacht am unteren linken Rand verdunkelt hatte, erschütterten die ersten Gefühlsausbrüche den versammelten Trabanten-Fanclub vorm Planetarium. „Hast Du jetzt nicht auch das Gefühl, daß wir uns bewegen, daß wir uns zwischen etwas schieben?“, wisperte eine junge Dame ihrem Begleiter zu. Ein knappes „Mmm, jooa“ mußte ihr in der kühlen Spätherbst-Luft als Antwort genügen.
Der gute Mann wäre wohl lieber zu Hause gewesen, eventuell, um sich dort auf andere Art zu bewegen. Immerhin war es schon nach 23 Uhr, als der Mond in den Kernschatten der Erde eintrat, und bis zur Mitte der totalen Verfinsterung mußte er noch gut zwei Stunden ausharren (der Mann). Doch eine heiße Tasse Tee brachte ihn wieder zu sich.
Im Kreise der „Gesellschaft für volkstümliche Astronomie e.V.“, die zur Beobachtung geladen hatte, verfolgte er das Spektakel durch die aufgestellten, teilweise selbstgefertigten Fernrohre. Zum Beispiel einem riesigen Refraktor mit einem Linsendurchmesser von 15 Zentimetern. Leider spielte das Wetter nicht so recht mit, ständig verhinderten Wolken eine klare Sicht.
Dabei wäre es gerade diesmal eine besonders schöne Finsternis geworden. Denn durch den Ausbruch des Pinatubo sind große Mengen Staub in die Atmosphäre gelangt. Und da sich das Licht der Sonne an der Erdatmosphäre bricht, wäre ein dunkelrotes Schattenspiel entstanden — wenn man's nur gesehen hätte.
Dafür aber gab's Ersatz: Die Krümmung des Schattens brachte findige Köpfe zur endgültigen Überzeugung, daß die Erde rund sein könnte.
Die nächste in Hamburg sichtbare totale Mondfinsternis wird, das steht erfreulicherweise schon fest, am 29. November 1993 stattfinden. Einer der volkstümlichen Astronomen wird dann sicherlich dabei sein, denn „bei Vollmond kann ich sowieso nicht schlafen“, wie er erklärte. Eine totale Sonnenfinsternis werden die meisten Leser dieser finsteren Zeilen nicht erleben. Bis zum Oktober 2135 wird es noch dauern, dafür gibt es nur sieben Jahre später eine weitere zu bewundern. Gregor Gerlach
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