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Mein Freund ist Hamburger

Eintracht Frankfurt – Hamburger SV 3:3/ Macht vom Main verschenkt 3:1-Führung/ Aktion gegen Ausländerhaß ein Erfolg  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Waldstadion (taz) – Wo sonst (meist) ein schlichter „Handtouch“ der deutschen Mitkicker als Gratulation für den schwarzen Goalhunter der Eintracht, Anthony Yeboah (Ghana), zu konstatieren ist, waren an diesem naßkalten Sonnabend im Waldstadion demonstrativere Gesten zu beklatschen: Am DFB-Aktionstag gegen Ausländerfeindlichkeit nahm Spielmacher Uwe Bein seinen „Thony“ nach dem 1:0 gegen den HSV (9. Min.) gefühlvoll in den Arm. Und die 30.000 „Zeugen Yeboahs“ auf den Rängen feierten die multikulturelle Künstlertruppe in den schwarz-roten Shirts mit stehenden Ovationen: „The United Colors of Bembeltown“.

Daß Thonys Soulbrother Jay- Jay Okocha mit einem strammen Freistoßtor dann noch das 3:1 für die Macht vom Main markieren konnte, brachte selbst die knoddernden Rentner mit den Wanderhütchen schier aus dem Häuschen. Die hatten schon kollektiv mit den Zungen geschnalzt und ihren Nachbarn vor Lebensfreude auf die Schultern gehauen, als Flügelflitzer Jay-Jay die Hamburger in der ersten Halbzeit wiederholt schwindelig spielte und noch auf engstem Raum – mit Herz und Verstand – brillante Rasenzauberkunststückchen vorführte: „Des macht so'n Spaß, den Bub aus'm Nordend spiele zu seh'n. So'n Spaß – des glaabste net.“

Kaum zu glauben war allerdings auch, daß die Eintracht den komfortablen 3:1- Vorsprung aus der ersten Spielhälfte nicht über die Zeit retten konnte. Das lag daran, daß Abwehrchef Manfred Binz das Motto auf den Trikots aller Spieler – „Mein Freund ist Ausländer!“ – gründlich mißverstanden hatte. Der ausgemusterte Libero der Nationalmannschaft kickte schlafmützig eher nach dem Motto: „Mein Freund ist Hamburger!“ Und die Hanseaten nahmen die Gastgebergeschenke des blonden Manni dankbar an. Schon beim Anschlußtreffer von Rohde zum 2:1 standen die Abwehrspieler wie Ölgötzen bewegungslos in Steins Strafraum herum – auf den Rängen glaubte man, daß Schiedsrichter Dardenne die Partie unterbrochen habe – doch da war das Leder schon in Ulis Kasten.

Als dann mit der Einwechslung von Jan Furtok für Harald Spörl der Angriffsdruck auf die Eintracht noch wuchs, war Binz mit der Organisation der Abwehr völlig überfordert. So fielen die Tore zum Ausleich für die Hamburger fast zwangsläufig: Michael Spies schoß in der 66. Minute das 3:2 – und nur zwei Minuten später wuchtete Thomas von Heesen den Ball unhaltbar für Stein ins Netz. Am Ende konnte die Eintracht froh sein, den einen Punkt mit in die Winterpause nehmen zu können, denn der HSV spielte in der Schlußphase Katz und Maus mit den ausgelaugten Frankfurtern.

Doch auf der obligatorischen Pressekonferenz war die Welt für „Stepi“ Stepanovic schon wieder in Ordnung. Zur Saisonhalbzeit nur einen Punkt hinter den Bayern zu liegen sei doch ein „Grund zur Freude“ – vor allem bei der Verletztenliste der Eintracht. Und auch Benno Möhlmann war zufrieden. Alle hätten zum Abschluß '92 ein „tolles Offensivspiel“ gesehen.

Freude nach und Freundschaft schon vor dem Spiel: Da waren die Mitglieder der afrikanischen Vereinigungen in Frankfurt mit ihren deutschen Freunden in einer Trommel-Demo vom Hauptbahnhof zum Stadion gezogen. JungendfußballerInnen aller Nationalitäten aus Frankfurt sangen mit dem Publikum „We are the World“. Und 22 SchülerInnen aus aller Welt von der Georg-Büchner-Schule verlasen in der Pause Weihnachts- und Neujahrswünsche in 22 Sprachen. Kommentar eines italienischen Frankfurters auf der Haupttribüne, dem sein deutscher Nachbar Schluck um Schluck aus dem Hüftflacon angeboten hatte: „Alles wunderbar, alles bene – hoffentlich bleibt des auch so im nächste Jahr.“

Hamburger SV: Golz - Rohde - Matysik, Babbel - Spörl (62. Furtok), Schnoor, Hartmann, von Heesen, Woodring (33. Spies) - Bäron, Letchkov

Zuschauer: 29.000; Tore: 1:0 Yeobah (9.), 2:0 Rahn (12.), 2:1 Rohde (24.), 3:1 Okocha (37.), 3:2 Spies (66.), 3:3 von Heesen (68.)

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