■ Interview mit Hans-Ulrich Klose zum Asylkompromiß: „Lastenausgleich muß sein“
taz: Herr Klose, der Asylkompromiß trifft in der SPD nicht auf Begeisterung. Sogar Gerhard Schröder, einer Ihrer Mitverhandler, hätte gern Konkretisierungen. Wie werden die Parteigremien am Montag entscheiden?
H.-U. Klose: Ich glaube, sie werden zustimmen. Übrigens ist niemand begeistert, das ist eben ein Kompromiß. Wir hätten sicher anders entschieden, wenn die Sozialdemokraten über eine Zweidrittelmehrheit verfügten. Es wird viele kritische Anmerkungen und ernste Nachfragen geben. Der entscheidende Punkt in Parteivorstand und Parteirat wird die Ausdehnung der Definition sogenannter sicherer Drittstaaten über die EG-Staaten hinaus sein, besonders auf Polen. Wir sind absolut einig, daß wir diese Ausdehnung nicht überfallartig vollziehen können und daß es Vereinbarungen mit Polen und der ČSFR geben muß.
Polen und die ČSFR werden erst dann zu sicheren Drittstaaten erklärt, wenn diese Vereinbarungen zustande gekommem sind?
Nein. Es kann kein formales Junktim geben. Wenn wir das festschreiben, dann werden die Verhandlungspositionen der Bundesrepublik fast unmöglich.
Sicherer Drittstaat ist Polen also schon ohne dortige geregelte Asylverfahren?
Es wäre geradezu eine Beleidigung für Polen, würde man etwas anderes sagen. Polen ist laut UNHCR ein Land, in dem es keine Verfolgung gibt, und Polen liefert auch niemanden in ein Land aus, in dem Verfolgung stattfindet. Das gleiche gilt für die ČSFR. Der eigentliche Punkt ist aber, ob Polen in den Zuständigkeitsmechanismus von Schengen und Dublin hineingenommen wird. Was wir jetzt beschlossen haben, ist keine so dramatische Veränderung, weil mit Polen im Zuge der Vereinbarungen über die Visafreiheit bereits ein Abkommen über die Rücknahme von Flüchtlingen abgeschlossen wurde. Es könnte sogar eine Verbesserung eintreten, denn mit Polen und der ČSFR wollen wir bilateral das versuchen, was wir gern zur Grundlage der gesamten europäischen Asylpolitik machen würden: Lastenverteilung, nicht nur im materiellen und finanziellen Sinn, sondern auch bei der Aufnahme von Menschen.
Signal des Asylkompromisses bleibt, daß die Deutschen aller Welt erklären, die Zuwanderer aus Osteuropa sollten an ihrer Grenze haltmachen und in Polen bleiben.
Das wäre richtig, wenn wir in einer idealtypischen Welt lebten, wenn sich alle an der deutsch-polnischen Grenze meldeten und sagen würden: Ich beantrage Asyl. Dem ist aber nicht so. Die meisten gehen über die grüne Grenze und melden sich im Land.
Dann ist Ihre Aufforderung: Reist illegal ein?
Das ist doch eine heuchlerische Diskussion. Heute schon kommen 80 Prozent illegal ins Land. Die Sorge vieler Kritiker, es käme niemand mehr herein, halte ich für völlig blauäugig. Die wäre berechtigt, wenn wir gleichzeitig akzeptiert hätten, was Rudolf Seiters wollte, nämlich eine Reihe von Ausschlußgründen für illegal Einreisende. Das haben wir aber ausdrücklich abgelehnt.
Nehmen wir den Fall eines politisch Verfolgten, den die SPD in der Tradition des bisherigen Verfassungsrechts weiterhin privilegieren wollte. Ein Flüchtling aus Afghanistan, der sehr wahrscheinlich anerkannt würde, beantragt Asyl. Gibt er an, aus Polen zu kommen, wird er zurückgeschickt. Macht er keine Angabe, wird er künftig bestenfalls als „offensichtlich unbegründet“ eingestuft.
Auch jetzt gilt schon die Regel: Wer nicht ordentlich am Verfahren mitwirkt, wird verfahrensmäßig schlechter gestellt. Sie haben recht: Meldet er sich an der deutsch-polnischen Grenze, würden wir sagen, sein Asylverfahren muß in Polen durchgeführt werden, so wie wir das unter Berufung auf das Schengener Abkommen bei einem Marokkaner sagen würden, der aus Frankreich kommt. Aber, anders als die Regierung wollte, wird dieser Flüchtling gehört, wenn er sich hier meldet und keine Angaben über den Fluchtweg macht. Er ist im verkürzten Verfahren mit Verwaltungsentscheidung. Wenn der Verwaltungsbeamte oder der Richter entscheidet, der Vortrag dieses Flüchtlings ist schlüssig, dann ist er im Normalverfahren.
Auch wenn sich diese Interpretation praktisch durchsetzte, hätte der Asylkompromiß kaum Wirkungen auf die Flüchtlingszahlen.
Doch, die Zahlen werden zurückgehen, aber nicht allein wegen des neugefaßten Art. 16, sondern dadurch, daß wir endlich ein Gesamtpaket machen: mit einem Status für Bürgerkriegsflüchtlinge, mit schlankeren Verfahren, mit der geänderten materiellen Versorgung für die Bewerber im verkürzten Verfahren, durch die Regelungen für Vertragsarbeiter. Hier haben wir eine enorme illegale Zuwanderung. 140.000 sind vereinbart, mindestens 650.000 sind da.
Der SPD-Parteitag hat als Teil des Gesamtpakets ein Einwanderungsgesetz, leichtere Einbürgerung, doppelte Staatsbürgerschaft erwartet. Nichts davon ist drin.
Nichts ist übertrieben. Würde ich ganz formal diskutieren, könnte ich sagen: Was im Parteitagsbeschluß zur europäischen Einwanderung steht, steht in diesem Papier auch. Einwanderung können wir nur europäisch machen. Denn wenn ein einzelner Nationalstaat die Zuwanderung großzügig regelt, betrifft das wegen der Freizügigkeit in Europa alle anderen auch. Ich bin unverändert ein Befürworter eines Einwanderungsgesetzes, zur Not sogar auf nationaler Ebene, einfach weil wir das Steuerungsinstrument brauchen. Aber ich habe immer gesagt: in den nächsten zehn Jahren würde das den Charakter einer Zuwanderungsbegrenzungsregelung haben. Die Quote wäre Null. Wenn man Aussiedler, Vertragsarbeiter, Familiennachzug zusammenzählt, bleibt darüber hinaus nichts mehr für Zuwanderung.
Die doppelte Staatsbürgerschaft?
Das haben wir nicht durchgesetzt. Der Ehrlichkeit halber muß gesagt werden, daß die SPD selbst diese Forderung noch nicht so lange vertritt. Wir haben auch einige Zeit regiert, und es ist nichts passiert. Immerhin haben wir durchgesetzt, daß für bestimmte Gruppen von hier lebenden Ausländern aus dem Regelanspruch auf Einbürgerung ein Rechtsanspruch geworden ist. Und wir haben für die automatische Vererbbarkeit der deutschen Staatsbürgerschaft für Deutschstämmige außerhalb der deutschen Grenzen endlich eine Grenze gezogen. Wir müssen davon weg, Deutsche als Volk blutsmäßig zu definieren. Deutsch ist, wer hier geboren ist und seinen Lebensmittelpunkt hier hat. Wir müssen eine über hundertjährige Rechtstradition ändern. Das geht nicht nebenbei, und die CSU blockiert vollständig.
Im ganzen ist das herzlich wenig. Beim Asyl geht der Kompromiß vom besonderen, historisch begründeten deutschen Recht weg und gibt sich europäisch. Beim Staatsbürgerbegriff bleiben wir so deutsch, wie es nur irgend geht, und bleiben hinter allen Nachbarn, ob polnisch oder französisch, zurück.
Ich hätte auch lieber etwas anderes gesehen. Aber mit 33,5 Prozent der Abgeordneten im Parlament können Sie nicht alles machen. Wir mußten uns einigen.
Ihre Kritiker meinen, Sie hätten den Hebel in der Hand gehabt, mehr durchzusetzen, etwa mit der Drohung, die Verhandlungen zur Not scheitern zu lassen.
Wir hatten ein Interesse daran, daß sie nicht scheitern. Das wäre eine bittere Katastrophe gewesen. Wir haben ein wirkliches Problem, wenn 1,3 Millionen Menschen in einem Jahr zuwandern. Es gibt unübersehbar eine emotionale Überforderung. Wie immer füge ich hinzu, daß ich die meisten dieser Emotionen nicht teile. Sie nicht zur Kenntnis zu nehmen wäre aber politisches Abenteurertum.
Zurück zum 16 und den Nachbarländern. Österreich hat auch reagiert und nicht sehr freundlich.
Wenn die unfreundlich reagieren, habe ich nichts dagegen, denn sie sind sehr unkooperativ. Die Österreicher sind ja auch daran interessiert, daß wir ihnen helfen. Wir müßten ihnen die Bürgerkriegsflüchtlinge nicht abnehmen. Man wird mit ihnen im Klartext reden müssen, daß es ein Gesamtproblem der Zuwanderung gibt. Österreich will Mitglied der EG werden. Dann sollen sie auch die EG-Regeln akzeptieren.
Statt wie bisher alle hereinzulassen, drehen die Deutschen den Spieß um und nutzen ihre geographische Mittellage, um Regelungen zu erzwingen.
Ich glaube, die polnische Reaktion ist sehr vernünftig. Sie sagen: erstens kennen wir das Problem, zweitens sind wir nicht überrascht, drittens sind wir kooperationsbereit. Und viertens möchte ich hinzufügen: Wir geben das erste Beispiel für Lastenteilung. Wenn das zum Prinzip Europas würde, hätten wir viel erreicht.
Der Weg dahin geht über die Drohung: ,Nehmt ihr nicht unsere Flüchtlinge, dann wir nicht eure‘!
Wir leben in der Zeit der Völkerwanderung, und das Ziel für Millionen Menschen ist Westeuropa. Wenn irgend jemand in irgendeinem europäischen Land glaubt, er könne ohne Rücksicht auf die anderen damit fertig werden, der irrt. Ich sage Ihnen: wir kommen nie zu einer europäischen Lastenverteilung, wenn wir Deutschen schlichtweg nichts machen und weiterhin mehr als zwei Drittel aller Zuwanderer aufnehmen. Da sagen die anderen Länder, wunderbar! Das entspricht ihren Interessen. Ich vermag nicht einzusehen, warum nicht auch wir unsere Interessen vertreten sollen. Interview: T.Bruns/H.-M. Tillack
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen