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Volles Boot oder Luxusliner?

■ Ausländerfeindlichkeit und Wohnungsnot / Nehmen uns die Zuwanderer die Wohnungen weg? - Zum Beispiel Bremen

„Das Boot ist voll“ - von der Bundesregierung bis zu den sozialdemokratischen Bürgermeistern ist dies die Parole der Gegenwart. Das Grundrecht auf Asyl müsse geändert werden, weil wir einfach „überschwemmt“ werden - so die logische Folgerung. Die diffuse Angst vor der bedrohlichen Zuwanderungswelle wird durch die offizielle Mitteilung bestätigt, daß in unseren Städten „einfach kein Platz mehr da“ ist für weitere Zuwanderer. Schlagzeilen über Bunker-Belegung und Wohncontainer runden dieses Szenario ab, in dem Flüchtlingen und Vertriebenen die Rolle von Konkurrenten und lästigen Parasiten zugeschrieben wird.

Ist die Zuwanderung tatsächlich die Ursache für die „neue Wohnungsnot“? Wir wollen dieser Frage am Beispiel Bremen einmal genauer nachgehen.

Verglichen mit früheren Zeiten gibt es heute mehr Platz: die Zahl der Bewohner der Stadt Bremen ist nach jahrelangem Rückgang heute gerade so groß wie im Jahre 1982, und um die Einwohnerzahl von 1972 wieder zu erreichen, müßten sogar noch ca. 40.000 Menschen zuwandern! Was also, bitteschön, heißt „Das Boot ist voll“? Gegenüber 1972 leben zwar 40 Tausend weniger Menschen in Bremen, aber die Zahl der Menschen mit ausländischer Nationalität ist um ca. 40.000 gestiegen. Der Ausländeranteil hat sich von 5,1% auf 10,3% mehr als verdoppelt. In Bremen leben also unter weniger Einwohnern mehr Ausländer. Die Aussage, daß „das Boot voll“ sei, kann nur so verstanden werden: in Bremen leben nicht zu viele Menschen, sondern zu viel von den falschen.

Weniger Leute im „vollen Boot“

Auch wenn jetzt zahlreich und ehrlich gegen die manifeste Ausländerfeindlichkeit öffentlich demonstriert wird, so ist doch das Gefühl, es seien nun mal „zu viele“, die zu uns kommen wollen, weiterhin verbreitet. Dem Gefühl, daß es allmählich zu eng werde, liegt auch eine reale Entwicklung zugrunde, deren Ergebnis heute mit „neuer Wohnungsnot“ bezeichnet wird.

Die Wohnungsversorgung war in Bremen in den 60er Jahren absolut und relativ schlechter als heute. Bis 1970 hat die Bevölkerung aufgrund des Geburtenüberschusses und der Zuwanderung (von deutschen) zugenommen, und der Wohnungsneubau kam kaum nach. Dann kippte diese Entwicklung um: von 1970 bis 1987 nahm die Bevölkerungszahl ab. Bis 1988 war die Wanderungsbilanz der deutschen Staatsangehörigen negativ, nur die Zuwanderung von Ausländern verhinderte noch einen stärkeren Rückgang der Bevölkerungszahl. Lediglich in den Arbeitsmarktkrisen zwischen 1975 und 1977 sowie zwischen 1982 und 1985 zogen auch mehr Ausländer aus Bremen weg als zuzogen.

Obwohl die Bevölkerung also insgesamt abnahm, nahm zunächst noch die Zahl der Wohnungen zu. Ausländer waren Mitte der 80er Jahre durchaus willkommene Mieter. Hausbesitzer boten damals - wohl zum ersten Mal in der Geschichte des Wohnungsbaus - von sich aus freie Wohnungen dem Sozialamt für sogenannte „Problemfälle“ an, und im sozialen Wohnungsbau standen Wohnungen leer. Als es noch Alternativen gab, wollten noch nicht so viele Leute in Osterholz-Tenever wohnen - heute gibt es auch dort Wartelisten.

Vom Leerstand zur Warteliste

Die Situation hat sich nun zweifach verändert: Zum einen nimmt seit 1987 die Bevölkerungszahl wieder zu - nicht durch natürliches Wachstum oder Zuwanderung aus der (alten) Bundesrepublik, sondern durch einen deutlichen Anstieg der Zuwanderer aus dem Ausland: Aussiedler aus Osteuropa und Ausländer. Zusätzlich steigerte sich die Zuwanderung deutscher Staatsangehöriger durch den Zustrom von Übersiedlern aus der ehemaligen DDR seit 1989. Zum anderen wurde der Wohnungsneubau stark gedrosselt, weil langfristig Vermietungsschwierigkeiten drohten, und die bundesdeutsche Wohnungspolitik verlagerte sich immer stärker auf die Eigentumsförderung.

Zwischen 1968 und 1987 hatte sich der Wohnungsmarkt merklich entspannt. Dies wurde nicht nur durch Leerstände Mitte der 80er Jahre deutlich, sondern auch dadurch, daß sich die in Bremen ansässigen Haushalte besser mit Wohnraum versorgen konnten als jemals zuvor: die Wohnfläche pro Kopf nahm in diesem Zeitraum von 24 qm auf 36 qm zu. Auch die Haushalte von Ausländern konnten in dieser Zeit ihre Wohnsituation verbessern, wenn auch in vergleichsweise bescheidenem Maße (Wohnfläche pro Kopf 1987: 23 qm).

Ab 1987 wurden aber die vorhandenen Reserven wieder schnell verbraucht - vor allem durch die Aussiedler, die jene Wohnungen gerne nahmen, die zuvor keine mehr haben wollte. Vor allem im Jahre 1989 überlagerten sich drei Zuwanderungsströme: Aussiedler, Übersiedler und Asylbewerber. Nun aber gab es keine Reserven mehr. Die Folge war und ist: nicht nur die Zuwanderer haben nur geringe Aussichten, eine Wohnung zu finden, sondern auch für die ansässige Bevölkerung gibt es keinen Spielraum mehr, die Wohnung zu wechseln, die Wohnfläche auszudehnen oder sich eine neue Wohnung zu suchen.

Die Wohnungsversorgung hat sich also für viele enorm verbessert. Aber für diejenigen, die dies heute erreichen wollen, ist dieser Prozeß der Ausbreitung gestoppt. Wenn z.B. früher eine Wohnung im öffentlich geförderten Mietshaus frei wurde, konnte man bei der Wohnungsbaugesellschaft schon mal Bekannte oder die Schwiegertochter als Neumieter vorschlagen - nun sitzen immer gleich „Fremde“ drin, die nicht mal richtig Deutsch können.

Grenzen des Wachstums

Tatsächlich hat die Stadt Bremen lange versucht, für die Zuwanderer „Normalwohnungen“ anzumieten oder zu kaufen, um die Konzentration an bestimmten Orten zu verhindern (Asylbewerber hatten jedoch niemals die Wohnberechtigung für den sozialen Wohnungsbau). Bei gleichzeitigem Rückgang des Wohnungsneubaus wurden dadurch die Mobilitäts- und Ausdehnungsmöglichkeiten einheimischer Haushalte beschränkt. Die Zahlen der Vergabe von Sozialwohnungen zeigen dies: konnten 1986 noch 50% der Wohnungssuchenden mit „B-Schein“ (der zum Bezug einer öffentlich geförderten Wohnung berechtigt) tatsächlich mit einer Wohnung beglückt werden, waren dies 1991 nur noch 21%. Den Haushalten, die am dringendsten eine Wohnung brauchten, weil sie kein Dach über dem Kopf hatten oder sehr beengt wohnten („Wohnungsnotstandsfälle“), konnten 1986 noch in 54% der Fälle eine Wohnung zugewiesen werden, 1991 nur noch 37% der Notfälle. Die Knappheit wurde aber nicht durch die Ausländerhaushalte mit B-Schein verschärft, denn von denen wurden schon 1986 nur 39% und 1991 nur noch 18% mit Wohnungen versorgt (Ausländerhaushalte sind unter den Mietern von Sozialwohnungen schon immer unterrepräsentiert gewesen). Im Jahre 1991 konnte von den bezugsberechtigten Alleinerziehenden und jungen Ehepaaren nur noch jedem vierten, von kinderreichen Familien nicht einmal jedem fünften Haushalt eine Wohnung zugewiesen werden.

Die Stadtverwaltung hat die gesetzliche Pflicht, Zuwanderer mit Wohnraum zu versorgen. Dies kann sie natürlich nur in dem Maße tun, wie tatsächlich Wohnungen zur Verfügung stehen. Seit dem Beginn der Zuwanderung aus dem Ausland (ob deutsche Staatsbürger wie die Aussiedler oder ehemalige DDR-Bewohner oder Angehörige anderer Nationen) konnten zunächst Leerstände aufgefüllt werden. Dies hat die relativ günstige Wohnungsmarktsituation für einige Zeit auch für die ansässige deutsche Bevölkerung wieder in eine Knappheit verwandelt. Die Knappheit wurde in dem Augenblick groß, als unter den Zuwanderern auch die Anteile von Flüchtlingen und Asyl- Bewerbern zunahmen, die aber keineswegs die Sozialwohnungen bevölkern, sondern in Sammelunterkünften und Übergangswohnheimen untergebracht werden. Das Zusammentreffen von beiden Bewegungen, von Abnahme des Neubaus und rascher Zunahme der Nachfrage durch Zuwanderer, haben tatsächlich eine Wohnungsknappheit erzeugt, die auch die Einheimischen zu spüren bekommen. Für sie geht es aber weniger darum, überhaupt noch ein Dach über dem Kopf zu finden, sondern in der Regel darum, den Wohnkomfort zu erhöhen. Obwohl heute sehr viel weniger Menschen in der Stadt wohnen als 1970 hat sich ein Gefühl von Enge gebildet, das durch die Klage über die „Zuwanderungswellen“ seitens der Politiker genährt wurde.

Die tatsächliche Knappheit betrifft nicht alle gleichermaßen, sondern vor allem diejenigen, die entweder schon bisher unterdurchschnittlich mit Wohnungsfläche versorgt waren oder die aufgrund familiärer Veränderungen eine neue Wohnung suchen - und nicht genug Geld haben, um sich eine zu kaufen. Die verständliche Wut darüber führt dann bei manchen offensichtlich leicht zu dem Kurzschluß, „die Ausländer“ seien daran schuld.

Um die Wohnungsknappheit zu beseitigen, wäre eine rasche Ausdehnung des Wohnungsneubaus notwendig. Doch da treffen die Stadtplaner auf neuartige Schwierigkeiten: plötzlich wehren sich die Anwohner allenthalben gegen zusätzlichen Neubau in der Nachbarschaft. Ob Ausländerfeindlichkeit oder ökologischer Fundamentalismus: das Argument, eine Freifläche dürfe wegen der Verringerung der Umweltqualität nicht bebaut werden, muß immer herhalten. Und dieses Argument wird natürlich dort besonders hoch gehalten, wo die Wohnsituation besonders gut ist.

Krisen zuhauf

In einer Stadt, in der die Bevölkerungszahl abnimmt, wurde die Möglichkeit, sich gemütlich zu einzurichten, von immer mehr Bewohnern als reale Verbesserung erlebt. Die Folgen der Krise der städtischen Wirtschaft konnten so zum Teil wenigstens kompensiert werden. Nun treffen Arbeitsmarktkrise, öffentliche Armut und Wohnungsknappheit aufeinander - und verstärken sich offensichtlich gegenseitig zu unterschwelligen Aggressionen. Das, was nicht durchschaubar und nicht bewältigbar ist, verdichtet sich zu einer irrationalen Abwehrreaktion gegen solche vermeintlichen Verursacher, gegenüber denen man höhere Rechte beanspruchen zu dürfen glaubt.

H.Häußermann/B.Richters

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