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Ein dünnes Licht in schwarzer Zeit

Herbert Achternbuschs „Ich bin da, ich bin da“  ■ Von Brigitte Werneburg

„Ritter, Dene, Voss“ wollte die Unternehmung eigentlich heißen, hätte nur der Gert Voss nicht abgesagt, kurz vor Drehbeginn. Er hätte ruhig mitmachen können, die Sache wäre nie nicht, wie man in bayerischer Diktion zu sagen pflegt, als ein Thomas Bernhard durchgegangen. Kurz: Der Kalauer, der nun nicht ganz hinhaut, ist wie sein filmisches Endprodukt ein unverwechselbarer Achternbusch. Ein unverwechselbarer Achternbusch ist etwas, das nie ganz hinhaut, das einen aber stellenweise umhaut, mit allerlei törichter Logik und vielerlei wundersamen Bildern. Das hat man gern, besonders zur Weihnachtszeit, so jedenfalls geht die Sage.

Vor zehn Jahren nämlich, in den Tagen nach Weihnachten, ist der Autor Reinald Goetz ins „Arena“ gegangen und hat sich zwei Achternbusch-Filme reingezogen. Später ging er dann ins Stadtmuseum, um sich „The Searchers“ anzuschauen, und hinter ihm „ist der Herr Achternbusch reingekommen und hat auch auf dem Boden sitzen müssen. Logisch hat er nicht ahnen können, wie sehr er mein dünnes Licht ist, in diesen irre schwarzen Tagen zwischen Weihnachten und Neujahr.“ Jetzt, nachdem wir und der Herr Achternbusch das wissen, weil wir es in „IRRE“ nachgelesen haben, wurde von Seiten des Filmmuseums diese Kur wider die Melancholie erneut angeboten; vom 24. bis 27.Dezember also lief der neue Achternbusch-Film als Vorpremiere vor rappelvollem Haus. Es ist sein 23. Film, und am St. Jakobsplatz werden ab dem 17.Januar alle vorangegangenen 22., gekoppelt mit ebenso vielen Karl-Valentin-Kurzfilmen, in einer großen Retrospektive, auch als Roßkur zu bezeichnen, abgefeiert. Aus dem dünnen Licht wird also ein fetter gebündelter Beam, und die Ethnie Bayern scheint mehr im Spotlight zu liegen als die Herren Valentin und Achternbusch sowie ihr jeweiliges Werk. Denn welcher wechselseitigen Aufklärung sollte diese als „anarchistische Spätverbrüderung“ (AZ) bezeichnete Kopplung dienen?

Nun gut. Immerhin sind wir mit dem Stichwort „Aufklärung“ schon mittendrin in „Ich bin da, ich bin da“. Die Aufklärung über den aufgeklärten Geist, der so ganz und gar unaufgeklärt ist, daß selbstverständlich die Institution der Gegenaufklärung schlechthin in unheiliger Allianz jederzeit mit ihm paktieren kann, um Geld vor allem und auch ein paar verlorene Seelen, das ist zum wiederholten Male tieferer Anlaß, als ewig unruhiger Filmemacher durch die Lande zu gespenstern. Zwar trinkt Hicks (Herbert Achternbusch) ganz zu Beginn noch eine schöne, zischende Schneider-Weiße, aber da ist er noch Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität in München; später geht's um nichts anderes mehr als Kakao oder Schokolade, wie die Burg(!)-Herrin (Kirsten Dene) sagt. Sie trinkt sie für ihr Leben gern, in Erinnerung an ihre fernen Ländereien auf einem anderen Kontinent, wo vor 500 Jahren das Indioblut zu brauner Schokolade gerann. Heute, am nichtexistierenden 31.April, erwartet sie ihren Sohn auf dem Schloß zurück und zudem das Erwachen des Konquistadoren (Herbert Achternbusch), der einmal jährlich aus dem (Bilder-)Rahmen fällt, um nachzufragen, ob womöglich noch einer von den Indios lebe. Professor Hicks, der es in der Zwischenzeit geschafft hat, zusammen mit seinem Assistenten Chester (Horst Kotterba), der zugleich der Sohn der Burgherrin ist, auf das Schloß zu gelangen, entpuppt sich bei des Konquistadoren berühmt- berüchtigter Frage als dieser „letzte Mohikaner“. Das versetzt den blechernen Ritter in rasende Wut, die gar noch angeheizt ist durch einen vorher verabreichten Kakao. Er metzelt die Mannschaft nieder, Mutter, Sohn, Bedienstete und letzten Indianer. Der katholische Klerus (Annamirl Bierbichler) gibt dazu seinen Segen und trägt die Burgherrin feierlich zu Grabe. Weil die aber an sich häufiger stirbt, aufersteht sie – dementsprechend trainiert – wieder zum Leben, und der Film endet mit einem Tennismatch zwischen Gräfin und Professor, das zehn Jahre und fünf Minuten dauert.

In bekannter Achternbuscher Manier ist dieses rohe Handlungsgerüst üppig aufgepolstert mit mancherlei kleinen kruden Szenen, angefangen von der Vorlesung in der Universität über die Funktion des Nervensystems und den Affen darin, die später als Mädchen wiederkehren, alle Andrea heißen und im Stadtcafé (neben dem Filmmuseum) bedienen und sich mit Schokolade füttern lassen. Dann darf sich Kirsten Dene in fünffüßigen Jamben über das so existentielle Thema des Flecks ergehen, im besonderen des Schokoladenflecks, der ein Frühlingsfleck, ein Dreck, ist. Und wenn im Autoradio des Professors Bruce Springsteen „I got the fire inside“ singt, dann brennt es in der Karre, was sonst. Chester stammelt der Mutter „bist aller Küsse angestammter Ort“, während der Ritter auf Linsengericht besteht, weil die Piranhas, die die angestochenen und angeschlagenen Indios fraßen, eben nur diese und nicht die Linsen goutieren mochten, die diese im Bauch hatten. Etc. etc. Eine wiederkehrende Szene beschäftigt sich mit Autosex, wie öffentlich der ist, und ob Hicks ein Schlappschwanz sei. Achternbusch, das Gespenst, der Atlantikschwimmer im Andechser Gefühl, der Komantsche, Neger und Depp, ist keiner.

Herbert Achternbusch: „Ich bin da, ich bin da“. Mit Herbert Achternbusch, Annamirl Bierbichler und Kirsten Dene. BRD 1992.

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