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Das Innere des Glatzenmannes

■ Niedersächsische Landesbühne Wilhelmshaven produziert ein Stück über Skins und ZuschauerInnen

Glatzen provozieren. Glatzen machen Angst. Glatzen schlagen tot. Das denken alle. Manche bekommen es zu spüren. „Glatze“ heißt das Jugendtheaterstück der Niedersächsischen Landesbühnen, das am Samstag in Wilhelmshaven Premiere hat.

„Auch in Wilhelmshaven hatte es Überfälle auf Ausländer gegeben. Wir wollen dagegen Stellung beziehen!“ begründet der Dramaturg Horst Busch die Wahl des Stückes. Was gibt es zu sehen? Ein Provinztheater- Stück in mehrfacher Hinsicht. Peter Dehler, Regisseur, Schauspieler und Autor des Stückes hat es so angelegt: Die Handlung von „Glatze“ spielt in einem deutschen Provinztheater.

Ein Theaterstück soll auf die Bühne gebracht werden. Der Regisseur, Herr Kant, will ein Stück über Skins inszenieren. Mit hochgerecktem Arm gröhlen die Bühnen-Skins: „Ficken, Kotzen, Deutschland!“ Eine Life-Rock-Band macht Stimmung: „In der Geisterbahn wird das Tempo erhöht!“ Dann holt ein Skin mit dem Baseballschläger aus, ein Vietnamese wird erschlagen. Alle im Ort wußten, daß es so kommen würde.

Nun treten die deutschen Kleinstadtcharaktere auf den Bühnenplan: der Polizist, die Passantin, der Würstchenbudenbesitzer. Sie schwingen Stammtischreden an der Pommes-Bude. Mief breitet sich aus. Die Zeiten sind hart, schließlich: niemand kriegt etwas geschenkt!

Nur die Sozialarbeiterin Juana, „rothaarig und so schön, daß sich jeder Mann in sie verliebt“ (Regieanweisung), gibt nicht auf. Sie macht sich an die namenlose Glatze ran, will wissen, ob der junge Mann den (ebenfalls namenlosen) Vietnamesen umgebracht hat.

Juana und Glatze kommen ins Gespräch. „Rede!“ heißt das Zauberwort: Der Berg öffnet sich und Juana darf ins Innere des Glatzen-Mannes blicken. Sie sieht den guten Kern, küßt ihn und vergißt den ermordeten Vietnamesen. Schmalz trieft von der Bühne.

Da flippen, dramaturgisch exzellent bemessen, die gespielten SchauspielerInnen aus: „Das geht zu weit!“ widersprechen sie, „Skins sind Verbrecher, sonst nichts.“ Schließlich, wer fürchtet sich nicht vor Skins? Dabei spielten sie die Gleichgültigkeit über den Mord am Fremden noch ohne Widerspruch. Was geht er sie an, so schien es. Der Bühnenpolizist zum Beispiel, er hat ja privat sein eigenes Päckchen zu tragen. Sein eigener Sohn ist eine Glatze, und das bringt ihn zur Verzweiflung. Die SchauspielerInnen kehren in ihre Rollen zurück. Zwei Tote gibt es noch. Das Stück endet ironisch. „Ist doch alles halb so schlimm“ , klingt es in belanglosem drei-viertel-Takt aus.

Die Inszenierung in sich stimmig: mit sorgfältiger schauspielerischer Zurückhaltung an den richtigen Stellen wird Distanz zum Thema gewahrt und fordert Kritik heraus. Zum Beispiel Kritik am provinziellen Setting des Stücks: Warum wird der Selbstbeschau der Weißen im Stück so viel Raum gegeben? Wie ist es möglich, nach Rostock und Mölln, die Perspektive der tatsächlichen Opfer von Skins auszublenden? Warum läßt das Kleinstadt-Szenario nur weiße Deutsche zur Sprache kommen?

Autor Dehler gab dem Stück den Charakter einer unfertigen Probe — und damit den Auftrag an die ZuschauerInnen, selbst weiterzudenken. Dadurch ist es nicht leicht, das Stück der Einseitigkeit zu bezichtigen. Zum Beispiel, weil blonde Deutsche sich über ihre Ängste auslassen dürfen, während die, die es wirklich trifft, keine Rolle spielen. Eva Rhode

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