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Liebevoll hingehuscht

Ein Faible für hochhackige Damenschuhe und die Lockungen des Schlangenleders: Die Galerie Nikolaus Sonne zeigt frühe Werbeentwürfe von Andy Warhol  ■ Von Harald Fricke

Warhol hat immer gezeichnet, selbst wenn er malte. Für die Siebdrucke bildeten oft schnell mit dem Kugelschreiber hingeworfene Skizzen die entscheidenden Vorlagen, und auch eine Vielzahl von Filmskripten basiert auf seinen liebevoll hingehuschten Zeichnungen. Doch zunächst profitierte davon allein die Werbung. Noch im Jahre 1962 nahm Warhol Aufträge an, als wären Kunst und Leben gleichsam vom Konsum codiert und daher nicht zu trennen, während er sich andererseits zur gleichen Zeit mit den ersten Campbell's-Suppendosen-Bildern um eine ästhetische Sublimierung der Warenwelt bemühte. Dabei muß ihn ein Angebot besonders fasziniert haben: Für den Lederfabrikanten Fleming Joffe fertigte er zwischen 1960 und 1963 über hundert Entwürfe an, die sich fast ausschließlich mit den Lockungen von Schlangenleder beschäftigten. Aus einem Faible für hochhackige Damenschuhe als Motiv und der Schlangenhaut als Produktvorgabe entstanden – selbstverständlich massenweise – Variationen des extravaganten Werkstoffs im Zwischenreich von Comic-, Mythen- und Alltagskultur. Auf einem Bildnis des in Stiefel verschnürten Beines von Elizabeth Taylor wurde das Biest einfach um die Fersen geschlungen, im Hintergrund sieht man einige Römer kämpfen. Der Historienfilm galt gemeinhin als modern, und die Taylor entsprach dem zeitgenössischen Schönheitsideal, beides also gute Voraussetzungen für eine erfolgreiche Kampagne.

Doch Warhol war auch als Werbegrafiker Pop-Artist genug, um den lapidaren Genre-Darstellungen ironische Versatzstücke der Kunstgeschichte einzuschreiben. Was auf den ersten Blick wie eine kunstvoll ziselierte Tuschezeichnung erscheint, entpuppt sich als spielerische Replik auf das kunstmarktgerechte Tröpfeln eines Jackson Pollock.

Warhol mag den abtrünningen Akademiker zwar allein schon wegen seiner chic revolutionären Anti-Haltung bewundert haben, nur wollte er nicht abstrakt-expressiv im Unbewußten herumwüten, sondern schön und ordentlich die Wirklichkeit malen, wie er es von seiner tschechischen Mutter gelernt hatte. Daher wohnt den Bildern mehr noch als die aufgekratzte Wildheit der künstlerischen Selbstbefreiung ein merkwürdig disziplinierter und verschnörkelter, beinahe spätimpressionistischer Gestus inne, der über Pollock hinaus an Seurats pointillistische Idyllenmalerei erinnert. Bei Warhol wurden daraus üppig geschmückte Schuhmodelle aus dem 19.Jahrhundert, geschaffen für die Ikonen der Filmleinwand, die Warhol tatsächlich bald schon portraitieren sollte. Trotzdem spiegelt sich in Liz Taylors Schlangenboots oder den mondänen High Heels von Jean Harlow auch ein bißchen die geheimnisumwobene Nonchalance einer Madame Bovary wider.

Manchmal ist Andy Warhol bei all den guten Vorsätzen seiner erdverbundenen Denkart dennoch ins Schwärmerische abgedriftet. „Snake in the Grass“ führt eine Reihe europäischer Sitten und Gebräuche vom Crocket-Spiel bis zum Picknick im Grünen vor und trägt doch selbst im charmanten Gesichtsausdruck der als Conferencier agierenden Cartoon-Schlange melancholische Züge. Auf vielen Zeichnungen schwingt diese in Überschwang umgeformte Schwermut als Grundstimmung mit, deren europäischer Wurzeln sich Warhol auch als New Yorker Superstar noch bediente.

Andererseits zieht sich das Tiermotiv wieder als äußerst spitzfindige Verschiebung des Sündenfalls durch eine der Bilderserien. Die Schlange bietet dort sozusagen ihre eigene Hülle gegen die Nacktheit nach dem Verlust der Unschuld an, der auf sie selbst zurückgeht. Bei Warhol bleibt sie deshalb des Menschen beste Freundin, zumindest wollte er das verfluchte Tier in einem kurzen Zeichentrickfilm rehabilitieren: „The Autobiography of Noa the Boa“, nach einem Drehbuch von Simone de Bou-voir.

Als Schlußbild hatte er sich sogar die Apotheose des verstoßenen Reptils vorgestellt: „The snake has all the lines“, steht augenzwinkernd auf der Skizze zur letzten Einstellung. Die Schlange erkennt sich selbst im Zeichenstrich. Er hat aber dann statt dessen doch lieber Transvestiten, Schlafende und Liebespaare gefilmt und die Ungeheuer dem Traum der Vernunft überlassen.

„Andy Warhol-Zeichnungen 1960 – 1963“. Bis 30. Januar in der Galerie Sonne, Kantstr. 138, Dienstag bis Freitag 11 bis 14 und 15 bis 18 Uhr, Samstag 12 bis 14 Uhr

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