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Der lange Weg der polnischen Demokratie

■ Auch Ministerpräsidentin Suchocka will nun Sondervollmachten

Warschau (taz) – Auch Ministerpräsidentin Hana Suchocka hat sich nun zu einem beinahe schon altehrwürdigen polnischen Brauch entschlossen. Ebenso wie fast alle „nachrevolutionären“ Regierungen will sie versuchen, dem Parlament in Warschau außerordentliche Sondervollmachten zur schnelleren Durchsetzung ihrer Politik abzuverlangen: Mit ihrer Hilfe sollen Gesetze unter Ausschaltung des Parlaments erlassen werden können.

Doch während alle ihre Vorgänger an der für ein solches Verfassungsgesetz benötigten Dreiviertel-Mehrheit scheiterten, hat es die Ministerpräsidentin leichter: Nach Inkrafttreten der neuen provisorischen Verfassung benötigt sie nur noch eine absolute Stimmenmehrheit.

Die offizielle Begründung für den Vorstoß: Die Gesetzgebungsprozedur in Polen ist lang, und Polens Parteien setzen gerne andere Prioritäten als die Regierung. Während die Minister Wirtschaftsgesetzen, Sozialreformen und der Budgetplanung den Vorrang geben, diskutieren die Abgeordneten gerne über Abtreibung, staatliche Symbole oder, wie unlängst im unmittelbaren Anschluß an die Abtreibungsdebatte: „Über das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Benennung der Landwirtschaftlich-Technischen Schule in Siedlce“. Banaler Grund: die Schule will nicht mehr nach einem bulgarischen Kommunisten benannt sein. Nach wie vor ungeklärt ist dagegen die Frage, welche Einkommensobergrenzen im bereits laufenden Jahr 1993 für die Einkommensteuer gelten werden. Noch ein paar Tage, und die Steuer wird ohne rechtliche Grundlage eingezogen!

Polens Ex-Premier Bielecki, heute Europaminister und seit jeher eifriger Verfechter der Dekrete-Idee, pflegte immer darauf hinzuweisen, daß zu seinen Zeiten über 100 Gesetzesinitiativen im Sejm auf ihre Bearbeitung warteten. Bis einige Abgeordnete dem Minister vorrechneten, daß die Zahl der nicht erarbeiteten Ausführungsverordnungen zu bereits verabschiedeten Gesetzen noch höher war. Und für die waren Bieleckis Minister zuständig. An dieser Situation hat sich bis heute nichts Grundsätzliches geändert. Gesetzentwürfe kommen in Polen zunächst in den Sejm, wo sie in zwei oder drei Lesungen verabschiedet und dann vom Senat in die Mangel genommen werden. Ändert dieser etwas, wandern sie zurück ins Unterhaus, anschließend benötigen sie noch das Placet des Präsidenten. Ein Weg, der – endlose Ausschußsitzungen eingeschlossen – manchmal über ein Jahr dauern kann. Auf Mißstände schnell reagieren kann man da nicht.

Viele dieser Mißstände tauchen allerdings auch oft erst nach Inkrafttreten eines Gesetzes auf – weil Gesetze häufig so lückenhaft und laienhaft konstruiert sind, daß es leichter ist, sie zu umgehen, als sie einzuhalten. Die Aussichten, daß Gesetze besser werden, wenn sie von einem exklusiven ministeriellen Expertenteam zusammengeschrieben werden, sind da äußerst gering. Im Gegenteil: Die Wahrscheinlichkeit, daß die Experten noch mehr Gesetzeslücken produzieren, deren Ausnutzung ihnen dann selbst zugute kommt, steigt gewaltig, ist die parlamentarische Kontrolle erst einmal dahin. Beispiele dafür gibt es genug: Eine „versehentliche“ Zollbefreiung von einigen Tagen für elektronische Geräte, zustandegekommen durch fehlerhafte Verordnungen des Finanzministeriums genügte, um Polens HiFi-Hersteller durch den dadurch ausgelösten Importboom an den Rand des Konkurses zu bringen.

Gleiches geschah durch eine mehrjährige Gesetzeslücke bei Alkoholimporten, bei einer Ein-Monats-Schonfrist für Stempelgebühren, Steuerbefreiungen und der Vergabe von Spielbanklizenzen. Immer war der Andrang so groß, daß an einen Zufall keiner glauben mochte. In letzter Zeit sind die Beamten im Finanzministerium sogar dazu übergegangen, ihre eigenen, fehlerhaften Gesetze auch noch selbst zu interpretieren – fehlerhaft, versteht sich.

So wurden Formulare für die Einkommensteuer gedruckt, die dem Einkommensteuergesetz widersprechen, von den Finanzämtern nichtsdestotrotz aber für verbindlich erklärt werden. Die berufen sich dabei auf für teures Geld in Umlauf gebrachte Gesetzeskommentare, die wiederum von den gleichen Beamten stammen, die das Steuergesetz formuliert haben... Wenn aus diesem Teufelskreis erst einmal das Parlament ausgeschaltet ist, haben Polens Bürokraten gute Chancen, in Personalunion die Funktionen von Legislative, Exekutive und Judikative auf einmal auszuüben.

Nur die Regierung hat dann ein Problem weniger: Daß ihr das Parlament Steuererhöhungen aus ihren Vorlagen wieder herausstreicht. So geschehen am Freitag, als die Liberalen, obwohl sie in der Regierung sind, gegen deren Vorlage stimmten. Dekrete für die Regierung ersparen dieser unliebsame Überraschungen – den Bürgern dagegen bescheren sie ein böses Erwachen. Klaus Bachmann

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