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Ostboykott gegen Fremdenhaß

■ Als Strafe für Passivität gegenüber Rechtsradikalen: Wiesbadener Autoimporteur beliefert keine Kunden mehr in Ostberlin und den neuen Ländern

Berlin. Als obrigkeitshörige Mitbürger ohne jedes ästhetische Feingefühl, die weder selbständiges Denken noch harte Arbeit gewöhnt sind, müssen sich Ossis von ihren Brüdern und Schwestern im Westen schon lange beschimpfen lassen. Nun sehen sich die Menschen mit Wohnsitz in Ostberlin und den neuen Ländern einer neuen Form von politisch motivierter, offener Diskriminierung ausgesetzt. Zumindest solche Zeitgenossen sind potentielle Opfer, die sich für die Personenwagen der Wiesbadener Importfirma „Euromobils“ interessieren. Deren Inhaber Fred Linke nämlich verkauft „wegen des zunehmenden Rassismus in Ostdeutschland“ keine Fahrzeuge mehr an Bürger aus den neuen Bundesländern.

Für die vielversprechenden Offerten der „Euromobils“ interessierten sich auch ein 52jähriger Ingenieur und seine Frau aus Ostberlin, die in einer Zeitschrift von den günstigen Preisen der Importfirma gelesen hatten: Rabatte bis 30 Prozent des deutschen Listenpreises bot die „Euromobils“ an. Unter ihrer Postanschrift „O-1130 Berlin- Lichtenberg“ aber erreichte das Ehepaar nicht der gewünschte Katalog mit Importmodellen, sondern ein Brief von einem Dutzend Schreibmaschinenzeilen. Die potentielle Kundin und Mitarbeiterin eines Westberliner Unternehmensberaters, so erinnert sie sich, war wie vor den Kopf gestoßen: „Beleidigend fand ich das, was da drin stand.“

Begründet wird die Absage des „Euromobils Team“ an das Beitrittsgebiet in dem Brief nämlich mit einer pauschalen Schuldzuweisung für den Rechtsradikalismus an alle Ostdeutschen. Nicht nur rechte Aktivisten sind angesprochen. „Wir verurteilen zutiefst auch das passive Verhalten gegenüber den Rechtsradikalen. Dies läßt die Schlußfolgerung zu, daß weit mehr, als es öffentlich zugeben, mit diesen Gruppen sympathisieren.“ Als Hoffnungsschimmer und Handlungsanleitung für Fans preiswerter Wagen läßt sich immerhin die rhetorische Frage am Schluß des Briefes aus Wiesbaden interpretieren: „Neuwagen weiterhin günstiger? Ja, aber nicht für Republikaner und ein neues Nazi-Deutschland!“

Rund 60 solcher Brandbriefe ließ Importhändler Fred Linke versenden; sie brachten ihm neben einer Morddrohung und telefonischen „Heil-Hitler“-Grüßen auch einige Zustimmung ein. Sogar ein als Kunde abgelehnter Ostdeutscher Empfänger lobte angeblich die gute Absicht. Der 35jährige Autohändler, der nach eigenem Geständnis mystischen Erklärungen politischer Vorgänge durchaus nicht abgeneigt ist, verschickt inzwischen auf Anfrage eine 37seitige „Presse- und Kundeninformation“, in der mehrmals das Wort „Entschuldigung“ auftaucht.

In den heftigen Reaktionen einiger beleidigter Ostbürger, die ihn seine Erläuterung schreiben ließen, sieht Linke auch nachträglich nur die Bestätigung seiner Thesen. Für ihn steht fest: „Getroffene Hunde bellen.“ Der Brandbrief, so erläutert Linke in seinem Rechtfertigungsschreiben, war Ergebnis langwieriger schmerzhafter Erfahrungen mit einer Spezies, die dem politisch interessierten Zeitgenossen schon als Kaufmann nicht willkommen war („Ostkunden sind anstrengend und zeitaufwendig“). Der Kragen platzte dem Autohändler aber erst, als ein Ossi in seinen Wiesbadener Verkaufsräumen die Inhaber eines nahegelegenen türkischen Lebensmittelgeschäftes schmähte und einen Bürgerkrieg vorhersagte. Da hatte der Importeur, der mit Händlern in Skandinavien, Luxemburg, Frankreich und den USA zusammenarbeitet, schon die Reaktionen seiner ausländischen Geschäftspartner auf ausländerfeindliche Ausschreitungen in Deutschland zu spüren bekommen: einige kündigten die Zusammenarbeit auf, ein israelischer Investor zog seine Zusage für das gemeinsam geplante Projekt eines Autohauses in Ostdeutschland zurück.

Ehemalige DDR-Bürger: Bis in die Zellen „verseucht“?

In seinem über weite Passagen in flapsiger Umgangssprache („Leute, das ist der Hammer!“) gehaltenen Versuch, über die schlimmen Folgen von vierzig Jahren Diktatur in den Köpfen der Ossis aufzuklären, versteigt sich der Unternehmer passagenweise in die Sprache der Nationalsozialisten. So schreibt er über die ehemaligen DDR-Bürger: „Jede Körperzelle von solchen Menschen ist bis in die Erbsubstanz verseucht!“

Speziell an solche Adressen hatte Linke den Brief geschickt, bei denen er vermutete, „daß ich den Nagel auf den Kopf treffe“. Beim Lichtenberger Ehepaar, so die Briefempfängerin, lag er im Hinblick auf die soziale Umgebung sogar richtig: „Bei uns im Viertel laufen genug von diesen Rechtsradikalen herum.“ Aber die Mahnung tat ihre Wirkung bei den Empfängern nicht – die fühlten sich nämlich noch nie als Rechtsradikale. Der Entschluß der Lichtenbergerin, trotz günstiger Rabatte in Wiesbaden keinen Wagen zu bestellen, trifft sich mit Linkes Weigerung, seinen Ostboykott aufzugeben. Der Importeur: „Ich schleime mich doch nicht ein.“

Eine Freundin aus Sachsen fragte nun bei Euromobils telefonisch nach Angeboten, wobei sie ihren Dialekt nicht verleugnete. Linke sagte prompte Lieferung des Kataloges zu. Seither wartet die Sächsin gespannt, ob der Kämpfer gegen Rechtsradikalismus den Brandbrief oder doch Auto-Prospekte schickt. Hans Monath

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