piwik no script img

Vollendet verstrickt

■ John Eliot Gardiner, Anne Sofie von Otter und das NDR-Orchester

John Eliot Gardiner, Chef der NDR-Sinfoniker, wurde mit Klassikinterpretationen berühmt, die sich alter Instrumente bedienen, um neue Wirkungen zu erzielen. Mit dem Hamburger Orchester sondierte der, als Barock- und Klassikspezialist höchst unvollkommen Beschriebene, bisher allerdings lediglich romantisches Terrain.

Mit Haydn's Oxford-Sinfonie (Hob. I:92) wollte er nun offenbar zeigen, daß es ihm nicht allein um Instrumentenklang zu tun ist, sondern auch um Stilkonvention. Da zählt Haydn, ähnlich wie Gustav Mahler zu den - essentiell - bis vor ganz kurzer Zeit eher Unentdeckten. Auf den modernen Instrumenten des NDR-Klangkörpers entdeckte ihn Gardiner so richtig erst im letzten Satz. Haydn verträgt alles, aber keine Kultiviertheit. Die Form bei ihm muß sich in Lärm vollenden können, seine Gelehrtheit ist immer auch deftig, seine Kunst so witzig wie das Fagott in der Oxford-Sinfonie. Und die Pausen: Bei Haydn müssen sie kleine Bomben sein, in denen immer wieder neu die Frage platzt: Was kommt jetzt?

Höhepunkt des Konzerts dann die schwedische Mezzo-Sopranistin Anne Sofie von Otter, die sich derzeit kurz vor dem endgültigen Aufstieg in die Weltspitze der Sangeskunst befindet. Am Sonntag sang sie Mahler's frühe Lieder eines fahrenden Gesellen. Sie traf diese Mahler-Stimmung, irgendwo zwischen Laierkasten und Leichenhalle, so lebendig und impulsiv, sang dabei so beweglich deutlich, selbst in den Höhen im piano noch ganz präsent und schön, daß das Publikum mit Recht aus dem Häuschen geriet. Das Orchester mit der Sängerin geradezu verstrickt, Gardiner, als ge-

1nuiner Theatermusiker, ein vollendeter Begleiter.

Da konnten Rachmaninows Sinfonische Tänze Opp. 45 von 1940 nicht mehr viel verderben. Strawinsky hat sie „grandiose Filmmusik“ genannt. Das NDR-Orchester hat sie fulminant gespielt. Aber sie sind irgendwie doch wirklich sechzig Jahre zu spät geschrieben. Stefan Siegert

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen